2a – Bilderwelten: Die Genrefotografie und ihre Motive

In der Amateurfotografie dreht sich alles um das „Motiv“ bzw. um das, was für ein solches gehalten wird. Der allgemeine Sprachgebrauch verrät es. Man sucht schöne Motive, man bekommt sie versprochen, die fotografische Lehrliteratur ist nach Motivkategorien geordnet und ebenso der Content der Foto Communities und der Bilderplattformen im Internet.

Der ernsthafte Hobbyfotograf geht raus und sucht nach bestimmten Motiven, andere legen sich nicht fest und suchen sie nicht, sondern warten darauf, dass sie ihnen begegnen. Irgendwelche eben. Wo man bestimmte Motive finden kann ist auch ein Dauerthema in den Foren, an Motiven herrscht permanenter Bedarf. Wo finde ich sie, wie finde ich sie, diese Motive aus dem Motivkatalog der Hobbyfotografie. Natürlich sucht der Freizeitfotograf nicht das Motiv, sondern ein Bild, das er machen und als Trophäe nach Hause tragen kann und es ist verständlich, dass er als Anfänger sich zunächst an der vorgefundene Ordnung der Bilderwelt orientiert. Irgendwo muss die Trophäe (Chasseur d’ Images“, deutsch Bilderjäger heißt ein französisches Fotomagazin) eingeordnet werden, damit sie auch von den Interessenten gefunden werden kann. Diese Funktion ist dem Genre im Internetzeitalter neu zugewachsen und von entscheidender Bedeutung.

Schaut man sich genauer an, was als Motiv gehandelt und anerkannt wird, ergibt sich zunächst ein recht knapper Katalog von Themen (mit diversen Subkategorien), innerhalb dessen sich der Freizeitfotograf seine Motive suchen kann. Natur, Familie, Akt, „Fotokunst“, Sport, Reise und Menschen, aus gerade mal sieben Hauptkategorien besteht das Feld, auf dem der frischgebackene Kreativmensch sich mit seiner neuen Kamera betätigen kann.

Was über diesen Themenkatalog hinausreicht, existiert thematisch de facto nicht in der Amateurfotografie, jedenfalls nicht in der offiziellen Bilderordnung, die der Neuling vorfindet, wohin er auch schaut. In Handbüchern für Fotoapparate, in den Kreativ- und Technikpostillen, die als Marketingkanal der Industrie dafür sorgen, dass Neues auch gekauft wird, in der Aufteilung der „Channel“ der Internetplattformen und in den Ausstellungen der Fotoclubs.

Diese Spielplatzordung für Hobbyisten und die damit verbundenen thematischen Exklusionen sind ebenso erstaunlich wie bedauerlich. Man könnte meinen, der Photoapparat sei erfunden worden als Spielzeug, als ein weiterer Zeitvertreib für die Freizeitgesellschaft. So mag sie heute erscheinen, aber das ist sie nicht, war sie lange nicht. Tatsächlich ist die Fotografie eine aufzeichnende, bildgebende Technik und damit ihrem innersten Wesen nach dokumentarisch. Und sie unterscheidet sich deshalb an eben diesem Punkt ganz grundlegend von der Malerei.

Dokumentarisch war die Hobbyfotografie in der breiten Masse nur so lange, wie sie sich darauf beschränkte, mit einfachen Apparaten und unter sparsamstem Einsatz teuren Aufnahmematerials Familie, Reisen und alles Höchstpersönliche festzuhalten, als Erinnerung für die eigene Zukunft. Dazu brauchte man eine AGFA Clack, 120er SW Film und ein Album, in das man seine 6X9 Kontaktprints einkleben konnte. Die sollten nicht ewig halten, nur so lange, wie noch jemand lebte, der eine persönliche Erinnerung an einen hatte, also die Enkelgeneration, und danach landeten sie auf dem Müll, das wusste jeder.

Diese Periode reichte bis ans Ende der Fünfziger Jahre. Dann nahm die Kaufkraft der westlichen Gesellschaften zu und die Entwicklung der Spiegelreflextechnik drängte auf den Markt, mit Folgen. Natürlich gab es auch schon in den Fünfzigern Amateure, die extrem viel Geld in hochwertige Systemkameras von Leitz, Zeiss ,Canon oder von etlichen anderen Akteuren, die damals noch auf dem deutschen Markt existierten, stecken konnten, und die sich schon damals deshalb als „ernsthafter“ verstanden als die Familienknipser, aber ihr Anteil war minimal und generell herrschte eher die Ansicht, Wechselobjektive brauche der Amateur eigentlich nicht. Eine gute Sucher oder Messsucherkamera mit einem fest verbauten 2,8/ 45mm Objektiv sei völlig ausreichend für alle Lebenslagen der Amateurs, so hat dies Alexander Spoerl in seinem Buch „Mit der Kamera auf Du“ damals formuliert. Im Grunde völlig richtig, heute nicht mehr vorstellbar, erscheint diese Sicht nun als weltfremd oder als dümmlich minimalistischer Attitüde.
Als Mitte der Sechziger die japanische Spiegelreflextechnik bezahlbar und vor allem genießbar wurde dergestalt, dass sie mit den Messsucherkameras suchertechnisch nicht nur mithalten, sondern die konzeptbedingten TTL Vorteile bei Wechselobjektiven auch ausspielen konnte, begann die Entwicklung, an deren Ende wir heute stehen.

Um den historischen Exkurs abzuschließen: Exakt damals begann damit auch das Zeitalter der Motive und der Channel, nur nannte man das damals noch Genre. Und es begann die neue Zeit, in der die Familienknipser als Knipser ohne Ambition mit immer weiter automatisierten Taschenkameras für Doofe in den Hintergrund gerieten und mit ihnen die Idee der dokumentarischen Fotografie. Der „ernsthafte und fotobegeisterte“ Edelamateur wurde neues begehrtes Zielobjekt für die Industrie, die den Systemverkauf und die Markenbindung über proprietäre Technik entdeckt hatte , die es erlaubte, einen Kunden über viele Folgegeschäfte immer weiter und fester zu binden, hatte man ihn erst einmal gewonnen.

Der fotobegeisterte, ernsthafte Edelamateur allerdings, nun ausgerüstet mit Material, das dem der Profis nahezu gleichkam, geriet in Zugzwang. Für die alte, dokumentarische Familien- und Reiseknipserei war er eindeutig überrüstet. Es wurden also notwendigerweise neue Ansprüche formuliert, an die technische und auch an die gestalterische Qualität, Ansprüche, die angeblich nur mit hochgerüsteter Systemtechnik zu erreichen waren. Seit dieser Zeit gibt es die wohlbekannte technische Qualitätsdiskussion und den handwerklichen und künstlerischen Anspruch an das Bild, dass jetzt bei den Amateuren nicht mehr als Dokumentation entstand, sondern als Einzelbild um des Bildes willen, l’art pour l’art, einem Kunstwerk ähnlich. Dass man sich nun auch das Genre als Ordnungsgröße von der Kunst abguckte, ist nur logisch. Ebenso logisch erscheint, dass an diesem Punkt die dokumentarische Idee unter den Amateuren in den Hintergrund rückte, als eine überholte, primitive Fotografie der Leute ohne Anspruch. Es dauerte allerdings nicht lange bis man bei einer gewissen Marktsättigung zwangsläufig damit begann, auch diesen Menschen ohne Ambitionen die Systemkameras schmackhaft zu machen, mit Automatikfunktionen aller Art.

Summa summarum: Es war eine technische Entwicklung, die in der Welt der Amateure die Fotografie von ihrem inneren Wesen zumindest in der Masse entfremdete. Technische Entwicklung, veränderte Märkte und damit angestoßene Paradigmenwechsel, ein Thema, das mit der Einführung der digitalen Technik vierzig Jahre später ein zweites Mal zu beobachten war.