4b – Digitale Technik als Verblödungsfaktor: Der Verlust von Basiswissen und alten Weisheiten

Abgesehen vom Irrationalen im Bereich der Hardwarewahl scheint die moderne Technik die Massen auch dahingehend zu verblöden, dass sie suggeriert, fotografisches Grundlagenwissen sei nun endlich und tatsächlich nicht mehr erforderlich. Tausenderlei Voreinstellungen und Programm-Modi bis hin zur teilweisen Motiverkennung, tausenderlei Automatiken, auswählbar oder im Full-Auto-Modus zusammengeschaltet, lassen den Anfänger erwarten, mit den hoch komplexen Plastikmaschinchen für den kreativen Anfänger nichts wirklich falsch machen zu können. Nun war es aber schon immer so, dass man eine Automatik nur dann wirklich nutzen kann, wenn man versteht, was sie macht und warum sie das macht. Weiß man das nicht, trifft man unvermeidlich auf eine Situation, wo man sie überfordert Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Und so sind die Foren voll von Anfragen der erschütterndsten Art, die ein totales Defizit bei den grundlegendsten Zusammenhängen erkennen lassen, wie auch den Unwillen, sich damit systematisch zu beschäftigen. Man hat sich da die vollautomatische Knipse gerade deshalb gekauft, weil sie versprach, sie sei narrensicher!? Auf einmal kommt Frustration auf, eine bestimmtes Ergebnis soll erreicht werden, die Automatik, die für diesen Fall vorgesehen ist, schafft es nicht, und die Antworten der Forenmitbewohner öffnen den Blick auf das theoretische Universum, das man glaubte umgehen zu können! Merde alors !! (Scheiße noch mal!!!)

In Zeiten, wo bei den jüngeren Semestern, die teilweise schon als halbe Analphabeten aus der Schule entlassen werden, die systematische Aneignung von Wissen generell weitgehend aus der Mode gekommen ist, scheint zwar die Taktik der Hersteller, die Perfektion der Vollautomatisierung im Einsteigerbereich voranzutreiben, immer noch erfolgreich zu sein (eine SLR soll wie ein Smartphone bedienbar sein), aber nur im Bezug auf das Geschäft. Was das fotografische Wissen angeht, treibt sie die Verdummung der Massenfotografie immer weiter voran. Der Prozess ist schon alt, er begann schon in den Achtzigern mit der Einführung der Programmautomatik, später mit den sogenannten Motivprogrammen: Damals schon der Versuch, auch dem unbedarften Theoriehasser noch eine SLR zu verkaufen. Denn SLR ist Systemverkauf, und hat man eine solchen Kunden gewonnen, ist das Folgegeschäft schon so gut wie sicher. Sicher auch der Kunde im Bestand, Systemwechsel werden teuer, wenn man erst einmal genug investiert hat. Und im SLR-Bereich ist die Kamera der geringste Teil des Investitionsvolumens, das meiste Geld geht dafür drauf, was dranhängt, an der Kamera.

Man hat von dieser Strategie nicht abgelassen, obwohl sie von Beginn an eine grobe Irreführung war. Den Absatz betreffend hat sie wohl immer funktioniert, und so gibt es heute, nachdem die Digitalisierung aus der Fotografie ein Massenhobby gemacht hat, auch massenhaft die technischen Vollidioten unter den fotobegeisterten kreativen Amateurfotografen, die, erst einmal in ein System hineingelockt, sich in idealer Weise auf weitere Kaufziele hin konditionieren lassen.
Besonders bedauerlich: Getrieben von seiner Abneigung gegen systematisches Lernen und gegen jegliche Theorie wird der Anfänger sein Wissen nach situativem Bedarf, ad hoc sozusagen, erweitern. Nicht zuletzt an diesem Punkt kommt die Community ins Spiel, die verspricht, dem Anfänger mit Rat und Tat zu Seite zustehen. Also stellt er nach den ersten missglückten Versuchen im Forum die Frage „Wie geht ein Portrait?“. Er könnte das auch nachlesen, in einer der zahlreichen Online Fotoschulen, aber Fragen ist bequemer.

Das erste, was passieren wird ist, dass sich ein paar der ubiquitären dämlichen Klugscheißer darüber in die Haare kriegen, was ein Portrait eigentlich sei (Definiere Portrait!), wobei sich herausstellt, dass auch unter den angeblich fortgeschrittenen Knipsern weitgehend irrige Vorstellungen zum Portrait herrschen. Heute kennt man sie nicht, heute interpretiert man Begriffe. Nach Gusto. Hat der ahnungsfreie Anfänger Geduld, kommt vielleicht doch noch irgendwann eine gute Seele vorbei, die brauchbare Erklärungen abgibt. Und hat der Anfänger den richtigen Riecher dafür, dass nur der Rat der guten Seele zielführend war und der Rest inkompetentes Selbstdarstellungsgelaber, dann macht er vielleicht sein erstes Portrait, nicht unbedingt gut, aber doch auch nicht komplett daneben. Seine verheerende Schlussfolgerung wird sein, was dazu gelernt, ich kann jetzt auch Portrait. Er kann’s noch nicht, wie man dem Bild ansieht, geschweige denn beherrscht er das Genre, wie man seiner Aussage entnehmen könnte.

Diese Art des situativen Einsammelns von Knowhow ist aber, im Gegensatz zur heute weitverbreiteten Meinung, kein echter Lernprozess, denn er ist unvollständig und es fehlt die systematische Einordnung. Hier wird nichts gelernt, hier wird (oft auch nicht) ein singuläres Problem gelöst, unter Mithilfe von Leuten, die ihr Teilwissen darüber in ähnlicher Weise angesammelt haben.

Im Prinzip zumindest gab es ähnliche Phänomene auch schon früher, zu analogen Zeiten, aber erst das Internet als Kommunikationsplattform und die rasante Entwicklung der digitalen Kameratechnik, die an das Streben nach dem endlich selbstfahrenden Auto erinnert, hat daraus ein Massenphänomen im Mainstream der Hobbyknipser gemacht, vor allem bei den jüngeren, sagen wir heute deutlich unter vierzigjährigen Amateuren. Das sind die sogenannten Digital Natives, die oft ein besonderes Maß an fotografischer Desorientierung zeigen, und die sich sehr oft mit absurd dünnen Kenntnisständen und ebenso dünnen Praxiserfahrungen mehr schlecht als recht fotografisch durchschlagen.

Gerade bei ihnen steht ihr Selbstbewusstsein, mit dem sie idiotische Statements absondern, oft in krassem Missverhältnis zu ihrem Erfahrungshorizont. Und so kann es kommen, dass einer eben noch sagt, die analoge Fotografie habe er „ausgelassen“ (was heißt „keine Ahnung davon“), und im nächsten Satz feststellt, für ihn seien die, die heute noch in der Duka mit Film herumplanschen, sentimentale Nostalgiker.

Man darf sich nicht täuschen lassen: Manche haben so lange in Prospekte gestiert und auf den Guru-Webseiten allerlei Zeugs ab- bzw. sich angelesen, dass sie sich anhören, wie ein Elektroingenieur TH. Kommt es aber zur fotografischen Praxis, fehlen oft die einfachsten Kenntnisse in der optischen Physik für den Hausgebrauch. Halbwissen, wo man hinschaut. Patchwork Knowhow, mit teilweise absurd großen Löchern in der kurzen Decke, nicht mehr. Ganz egal, ob es um technisches Verständnis oder um das Handwerk des Gestaltens geht: Amateure, die wirklich wissen, wovon sie reden, sind heute im Mainstream ein dünne, um nicht zu sagen eine hauchdünne Oberschicht geworden.

Wohlgemerkt, hier geht es nur um Kenntnisse. Nicht um die Fähigkeiten, sie in ein spannendes, interessantes Bild umzusetzen. Da wird es noch dünner, aber das war immer so.