5b – Die Umgebungsbedingungen der zeitgenössischen Amateurfotografie: Die professionelle Fotografie und der Mainstream der Amateure

Der Amateur sah den Professional schon immer als Leitbild, schon vor fünfzig Jahren, zumindest wenn’s um das Equipment ging. Und auch die Ergebnisse sollten „professionell“ aussehen, was jedoch den wenigsten gelang. Bis zum Anbruch des Zeitalters der digitalen Massenkreativität war der Professional eine Respektsperson, und wenn auch jeder Amateur gerne Profi sein wollte, so wusste er mehrheitlich doch immer noch, dass er das nicht wirklich war. Zu viel berufliches Knowhow und zu viel Technik jenseits der Kameras standen zwischen ihm und dem Pro. Es genügte ja ein Besuch im Studio für ein paar Familienbilder und man sah den Aufwand, der dort getrieben wurde. Das Gleiche galt natürlich um so mehr für Industrie- und Architekturfotografen, für Natur- und Magazinfotografie.

Mit dem endgültigen Übergang zur Digitalkamera vor ungefähr zehn Jahren änderte sich das. Nicht wirklich bezüglich des handwerklichen Abstands des Amateurs, den er immer noch zum Profi hatte wie eh und je, aber doch im Selbstverständnis der Amateure, das jetzt plötzlich auf Augenhöhe mit dem Profi angesiedelt war. Woher diese Hybris? Generell, weil sich der Amateur aufgrund der digitalen Produktionsprozesse plötzlich kommerziell für konkurrenzfähig hielt. Der Vorsprung durch Wissen und Knowhow wurde dabei geflissentlich vergessen.
In erster Linie deshalb konkurrenzfähig, weil das digitale Postprocessing und die damit verbundene Manipulierbarkeit der Bilder den Eindruck erweckte, jetzt gäbe es quasi einen demokratischen Zugriff auf alle Produktionsmittel, die vorher dem Pro vorbehalten waren. Kamera, Software, Distribution, alle hatten jetzt vermeintlich die gleichen Mittel. Nur am Handwerk fehlte es halt, aber, wie sich herausstellte, wurde das zunehmend weniger wichtig. Denn die Amateure konkurrierten primär über den Preis in einer Zeit, da ohnehin die Bilder der Pros plötzlich immer weniger kosten sollten, aus Gründen, die außerhalb der Fotografie lagen, vorrangig im Niedergang der Printpresse. Ausgerechnet in diesem Moment traten die entfesselten Amateure auf den Plan, die alles für ein paar Kröten nebenher machten. Und weil sie nicht in der Lage waren, auch nur die simpelsten Kalkulationen durchzuführen, machten sie das für so wenige Kröten, dass sie am Ende de facto noch Geld bezahlten, um den Pro spielen zu dürfen. Das merkten sie erst dann, wenn es zu spät war, aber bis dahin hatten sie ihren Teil beigetragen, um das Preisniveau weiter zu ruinieren. Man sollte nicht glauben, dass dies gelang, denn vom jetzt nebenberuflichen Hochzeitsfotograf bis zum Freizeitprofi fürs Tageblatt waren die Ergebnisse derart schlecht, dass man sich die Augen rieb ob der Akzeptanz, die dieser Müll bei den Abnehmern fand. Bei den Hochzeitern war es aber so, dass die meisten Kunden gar nicht sahen, wie schlecht die Bilder wirklich waren und bei den gewerblichen Abnehmern sah es auch keiner mehr, denn was der Teilzeitredakteur mit seiner Miniknipse inzwischen selbst bei seinen Reportagen über Schützenfeste und Betriebsjubiläen zusammenknipste, pappte er auch selbst in seine Artikel. Bildredakteure waren weithin schon gefeuert, und wo es sie noch gab, hatten sie keinen Einfluss mehr auf die Qualität unter dem Diktat der Kostenersparnis.

An den Fotos sparen war leicht, denn es fiel nicht wirklich auf, keiner beklagte sich über die unsäglichen Illustrationen aus unkundiger Hand, so wie sich auch kaum einer über die abgesoffenen schwarze Anzüge ( die aussahen wie ein Loch im Bild), und über die ausgebrannten weißen Hochzeitsroben derer beschwerte, die ganz plötzlich auf die Idee gekommen waren, sie seien Profifotografen. Die, die jetzt über MyHammer die Welt wissen ließen, sie würden eine Hochzeit für 250 Euro fotografieren, auch wenn sie 600 km weg sei vom eigenen Standort. Enttäuschungen gab es aber schon, zum Beispiel wenn eine Ich-AG sich eine Einsteiger-SLR und ein paar Bauleuchten anschaffte und im Netz mit dem Angebot warb, erotische Bilder von der Mutti auch bei ihr zuhause zu machen. So manche Mutti fand das eine gute Idee, um den erotisch auf Distanz gegangenen Vati wieder ein bisschen auf Touren zu bringen. Am Ende sah die Mutti dann zum ersten mal in höchster USM-Schärfe, wie viele Pickel sie tatsächlich auf ihrer schon überraschend welligen Sitzfläche hatte und wie viele Rollen sich maximal aus ihrem Bauchfleisch formen ließen. Kritik wiesen die Knipser gerne auch mit Ausflüchten ins Dokumentarische zurück, so sähe dieser Arsch nun mal aus, was sie dann aber endgültig als Fotografen disqualifizierte. Denn das wusste damals auch im hintersten Wald schon lange jeder: Der Fotograf war dafür da, Bilder zu machen, auf denen man eben gerade NICHT so aussah wie in der Wirklichkeit. Deshalb war diese Gemurkse dann doch auch den halbblinden Schnäppchenfans zu viel und so ging das Gewerbe der reisenden Einzelkämpfer in Sachen geiles Muttibild schnell wieder dahin zurück, wo es hergekommen war, und wo auch die neuen Entrepreneure der Homeporn-Idee bald wieder landeten.

Leider waren das nicht die einzigen Felder, auf denen die Amateurisierung bzw.
Entprofessionalisierung der Fotografie ihre Spuren zog. Auch in den Fotogeschäften standen plötzlich Flitzpiepen beiderlei Geschlechts herum, die zwar alle eine DSLR zuhause hatten und die Essentials der jeweiligen Werbetexte für die Kameras im Schaufenster zusammenfassen konnten, die auch den Printer im Hinterzimmer bedienen konnten, die aber keinerlei fotografische Ausbildung hatten. Was zutage trat, wenn der Chef sie auch mal zum Knipsen abkommandierte. Hinten im Ministudio manchmal nicht ganz so übel wie draußen mit dem Hochzeitspaar im knallsonnigen Park, direkt vor dem Mahnmal für die Toten beider Weltkriege, was ich mit eigenen Augen sah.

Das Schlimmste an dieser Entwicklung war nicht der erbärmliche Bildermist, den sie hervorbrachte, sondern dass kaum einer etwas daran auszusetzen hatte. Die Kunden nicht, aber auch nicht die ernsthaften, technikbegeisterten ambitionierten Profis, die doch immer so professionell sein wollten, die anscheinend aber im Rausch des Paradigmenwechsels zunehmend von Absencen heimgesucht wurden. Entweder hatten sie alles vergessen oder es nie gelernt, was von essentieller Bedeutung gewesen war und auch weiterhin sein würde für gutes fotografisches Handwerk.

Nie zuvor hatte sich der Mainstream der Amateure derart umfassend dekouvriert als ein Haufen, der von Anmaßung, falscher Attitüde und blanker visueller wie handwerklicher Inkompetenz verseucht war in einem Maß, das man nicht für möglich gehalten hätte, bevor das Internet als Plattform der Massenkommunikation, auf der Hinz und Kunz sich verbreiten konnte, dies möglich machte.

Noch schlimmer: Wer was zu meckern hatte an der neuen Bildwelt, der musste den Eindruck gewinnen, er sah etwas, was andere nicht sahen. Das vermittelten ihm die ausbleibenden Reaktionen jedenfalls. Es waren wohl die Meisten, die nicht wussten, was sie sagen sollten zu der ganzen Malaise, hatten sie doch gerade unter nicht geringen finanziellen Belastungen den Sprung in die digitale Zukunft gewagt. Oder der Meckerer wurde als rückständig und Ewiggestriger abgebürstet von der Idiotentruppe der frisch bekehrten Konvertiten, die für die blinde Lobpreisung des Modernen zuständig ist in diesem Metier. Die echten Profis sahen derweil erbittert zu, wie dieser Haufen fleißig mithalf, ihren Berufsstand und den Bildermarkt zu „revolutionieren“, de facto aber zu ruinieren. Die Bildabnehmer unterstützten diese Illusion und nutzten sie, um teures Fachpersonal im eigenen Haus auf die Straße zu jagen.

Es war diese Periode der Fotografiegeschichte, in der jeder, der es sehen wollte, auch sehen konnte, wie weit die Amateure tatsächlich weg waren von der professionellen Welt von Auftrag, Erfüllung und Bezahlung. Die Amateure, aller kommerzieller Zwänge enthoben, völlig frei von Fremdbestimmung und trotzdem eingegrenzt auf den Bilderkanon und die ästhetischen Vorgaben dieser Freizeitgemeinden, finden nicht mehr Sinn in der Fotografie als Nachahmung und Kopismus.

Es war aber auch die Zeit, als nicht wenig unter ihnen erschraken vor dem unerwarteten Ausmaß an technischen und handwerklichen Defiziten in der Zeitvertreibsfotografie und die fortan ausgesprochen vorsichtig wurden bezüglich der Wort- und Meinungsführer im Internet, die mit eigenen Webseiten die Welt beglücken, ob sie will oder nicht. Ein übles Beispiel der endgültigen Vermischung von Inkomptenz und professionellem Auftritt sind die Seiten für Testjunkies, wo angebliche Profis irgendwelche Bilder machen, die ihnen aber unmöglich einer abkaufen kann. Dafür sprechen sie unablässig über ihre Erfahrungen mit neuen Kameras aller möglicher Marken, immer über die gerade Neuesten. Diese schrägen Vögel sind Werbeprofis, zum Teil mit nicht wenig Geschick zur Selbstvermarktung, sonst aber weiter nichts.

Eine ähnliche Spezies der „neuen Professionalität“ sind die als Street-Gurus getarnten Promoter, besonders die in USA. Im Grunde nichts als wild gewordene Amateure im selbstdarstellerischen Ich-Rausch des Internet, denen die Rolle des allgegenwärtigen Youtube-Kaspers als Foto-Fachmann nicht reicht und die nur eins im Sinn haben, eine Gemeinde von Anhängern aufzubauen, die groß genug ist, um als profitable Werbeplattform dienen zu können. Von Street haben sie keine Ahnung, ihre Bilder sind ideenlos und seelenlos, völlig talent- und intelligenzfrei aber der Mainstream wäre nicht der Mainstream, würde ihm dies auffallen. Also macht er auch diesen lächerlichen Quatsch noch nach. Jeder sein eigener Winogrand. Ein weiterer Beitrag zu kommerziellen Verblödung der Fotografie.

Generell stößt man, wo immer man irgendein qualitativ degeneratives Phänomen in der Amateurfotografie näher beleuchtet, auf die gleiche Wurzel: Kommerzielle Interessen. Vor vielen Jahren schon, vor der digitalen Zeitenwende fragte in einem amerikanischen Analogforum ein älterer Gentleman, warum eigentlich jeder Fortschritt immer mit einem Verlust von Qualitäten hergehe. Die Frage wurde nur von wenigen verstanden, gilt doch gerade in USA der Fortschritt selbst als eine Qualität. Ich verzichtete auf eine Antwort, denn die politische Diskussion, die sie ausgelöst hätte, hätte mich vermutlich als Kommunist ins Visier der Dienste gebracht. Tatsächlich ist aber dieses Phänomen (in seiner konsequentesten Form als Planned Obsolence bekannt) dem Wahn vom ewigen Wachstum geschuldet, den die Fotoindustrie gerade erst einmal nicht weiterträumen kann, wie es in den aktuellen Marktanalysen so aussieht. Allerdings hege ich keine Zweifel, dass man irgendwas Fortschrittliches finden wird, das keine Sau braucht.

Was die Profis angeht, so werden sie sich noch mehr als bisher auf ihre Restareale zurückziehen, während die Geschäftemacher weiter an ihrem gänzlichen Verschwinden arbeiten. Melissa Meyer hat, als sie ihren Job als Vorstandsvorsitzende bei Yahoo antrat, schon mal versucht, die Existenz von Profis in der modernen Bilderwelt gleich ganz zu leugnen, was zeigt, wohin das Bildergeschäft getrieben werden soll. In eine Welt nämlich, in der Amateure mit Zeigedrang das Internet mit Milliarden kostenloser Bildern fluten, perfekt mit Tags indexiert, dass auch jeder sie findet, der sie für ein paar Euro das Stück mit allen Rechten kaufen oder lieber gleich klauen will. Das ist bereits Realität: Ein großer Konzern der amerikanischen Systemgastronomie, so las ich, wollte kürzlich einem Autor nicht mehr als ein paar Dollar zahlen (dessen Forderung waren 300 Dollar gewesen) für ein Kampagnenfoto, kaufte es also für eine Handvoll Dollars mit allen Rechten und möbelte es dann für seine Zwecke so auf, dass sein eigener Vater es nicht mehr erkannte. Geiz war schon immer geil, gerade bei den Milliardären, und es gibt keinen Zweifel, wohin die Reise geht.

Wie weit in Zeiten allgemeiner Verblödung die Idee des Klauens schon marginalisiert ist, zeigt das Beispiel eines der neuen Fernsehkasper, zuständig für Debilhumor, und seiner ebenso debilen Gefolgschaft, das der Fotograf Martin Langer erleben und erleiden musste:

http://kwerfeldein.de/2015/01/28/eine-geschichte-zum-thema-urheberrecht-im-internet/

Wir leben in einer Zeit, wo es generell in allen Lebensbereichen Mode geworden ist, sich erst einmal nicht an irgendwelche gesetzliche Bedingungen zu halten um zu sehen ob was passiert. Das reicht vom Parkplatz bis in das Tarifrecht. Was den Bilderklau angeht, so haben die Fotoplattformen mit ihren riesigen, globalen Bilderhaufen beste Voraussetzungen geschaffen, um der Klaumentalität Auslauf zu geben.