7 – Amateurfotografie als emanzipatorischer Akt.

Einige Kommentare zu diesem Blog waren von der Art, dass gesagt wurde, es treffe zwar alles zu, was hier beschrieben wird, aber was denn nun die Lösung sei, um der Misere zu entkommen. Darauf soll dieser Beitrag noch antworten.

Wenn, wie festgestellt wurde, die Mehrheit der Amateure die Fotografie als eines von vielen möglichen Hobbys in der Freizeitgestaltung betreibt, gleich, ob aus technischem Spieltrieb, Freude am Kitsch oder mit eskapistischem Hintergrund und wenn die Mehrheit sich in ihrer ideologischen Grundlage ebenso von der Werbung leiten lässt wie von deren Ästhetik, wie können die, die mit dieser Ordnung nicht zufrieden sind, ihren Weg hinaus finden aus dieser durch und durch fremdbestimmten Welt, wenn Ihre Ziele andere sind als die der Freizeitvertreibung und ihre Fotos von der Bastelei zum persönlichen Ausdruck werden sollen?

Die Antwort ist simpel: Immer und einzig durch den Bezug auf die eigene Persönlichkeit und durch ihre situativ differenzierende Abgrenzung gegen äußere Einflüsse. Situativ deshalb, weil es keine allgemein empfehlenswerte Grenzlinie gegen Fremdeinwirkung gibt. Die Abgrenzung ist eine individuelle, immer relativ zur eigenen Person und ihrem Wollen. Und sie ist ein permanenter Prozess, der den Amateur in seinem Werdegang ebenso begleitet wie das permanente Bemühen um eine kontinuierliche Verbesserung der handwerklichen und gestalterischen Fähigkeiten: Der ästhetische Selbsterziehungsprozess, aus dem die Kompetenz erwächst, ist die Grundlage für jedes Urteil.

Der Amateur muss also zunächst alles in Frage stellen können, was er an Vorgaben und Maßstäben findet bzw. was davon als vorbildhaft an ihn herangetragen wird und er muss in der Lage sein, alles zu prüfen mit Bezug auf den ästhetischen Wert und auf das eigene Wollen.

Der Emanzipationsprozess basiert auf kritischer Distanz zur umgebenden Bilderwelt und auf einer handwerklichen wie ästhetischen Selbsterziehung als Basis für den Erwerb der Kompetenz, die zur Urteilsbildung ebenso erforderlich ist wie schlussendlich für die Ausprägung einer eigenen, persönlichen Fotografie.

Das ist eine wesentlich anspruchsvollere Vorgehensweise als die im Mainstream übliche. Dort irrt man in Kreisen umher um das strahlende Licht der kommerziellen Verheißungen, die Nase immer im Arsch des Vordermanns, bis die Knipserei in den Flammen des Überdrusses zu Asche wird. In den Foren finden sich periodisch Threads wie „Hilfe, ich sitze im kreativen Loch, wie komme ich wieder raus?“

Der Mainstream scheiterte schon immer an den grundsätzlichen Bedingungen für jede Art von kreativem  Emanzipationsprozess: Kritikfähigkeit, die Bereitschaft zum systematischen fotografischen Lernen, die Fähigkeit zu Selbstreflexion, die Bereitschaft, sich in der Dialektik von Theorie und Praxis weiter zu entwickeln.

Der Mainstream nährt vielmehr sein Selbstverständnis aus einer Gerümpelkiste mit Plattitüden und Attitüden, um jeden Anspruch fernzuhalten. Dass Spaß das Wichtigste sei, ist das Fundament, auf dem alle anderen debilen Glaubenbekenntnisse ruhen. Zum Beispiel, dass es keine Definition für das gute Bild gäbe, dass jeder alles machen könne, wie er will, dass alles relativ und individuell sei, dass niemand festlegen könne, was Kompetenz sei und noch viel mehr dieses relativistischen Gedankenschrotts, der nur ein Ziel hat: Er soll bemänteln, dass der Mainstream eben nicht über die Voraussetzungen verfügt, die für eine persönliche fotografische Emanzipation, wie oben beschrieben, erforderlich ist. Was auch ein Hinweis auf fehlende kulturelle Bildung ist, quer durch alle Bevölkerungsschichten, die das Hobby betreiben, erstaunlicherweise bis hinauf in die Höhen hoher akademischer Weihen.

Kehren wir zurück zum Abgrenzungsprozess und seinem permanenten Charakter, als einem Kontinuum, das jeden Amateurfotografen bis zum letzten Bild begleiten muss und der in der heutigen Zeit eine ungleich größere Bedeutung hat als in der Zeit vor dem Internet.

Die Gefahr unbewusster Beeinflussung besteht immer, überall und für alle. Man muss sich nicht in den großen Bilderhaufen und ihren Communities herumtreiben um irgendwann festzustellen, dass man anfängt, für die ästhetischen Vorgaben anderer zu fotografieren.

Alles ist heute Bild und so ist auch außerhalb der beschützenden Werkstätten das Individuum pausenlos von fotografischen Bildern umgeben, in der Mehrzahl solche, die für eine Ware werben. Auch Film und Fernsehen unterwerfen sich schon seit Jahren zum Teil der Ästhetik der Warenwelt. Als Amateur ist man gut beraten, sich dies alles ganz genau anzusehen und sich bewusst zu machen, wer da gerade welche Botschaft und mit welchen Mitteln visuell formuliert. Nur die bewusste Auseinandersetzung mit der Bilderwelt, der man ja nicht entkommen kann, verhindert, dass man von ihr geprägt wird.

Insofern ist das Wort von der Inspiration auch immer eine Medaille mit zwei Seiten. Den Mainstreamer, der die Inspiration immer dringend sucht, damit aber meint, er suche etwas zum Nachmachen, ihn lassen wir außen vor.

Es geht um die echte Inspiration, also um die eigene, möglicherweise durch einen äußeren Impuls ausgelöste kreative Idee. Selbst wer sich als Amateur als emanzipiert und sein fotografisches Feld wohl bestellt glaubt, ist nicht geschützt vor Beeinflussung, besonders dann nicht, wenn er seine Bilder im Internet veröffentlicht. Und wer tut das nicht? Schließlich ist das Zeigen wollen kaum von der Fotografie zu trennen. Anders aber als zu früheren Zeiten, wo Familienmitgliedern und Freunden Bilder gezeigt wurden, zeigt man heute seine Bilder einem anonymen Millionenpublikum, mit dem man in gewissem Umfang sogar kommunizieren kann.

Diese neuen, jetzt interaktiven und anonymen  Möglichkeiten des Zeigens sind, wie jede Kommunikation, aber auch eine Möglichkeit der gegenseitigen Beeinflussung, vor der keiner gefeit ist, der, wo auch immer, Bilder in einer interaktiven Umgebung ausstellt.

Dessen muss man sich bewusst sein, um nicht in eine Falle zu tappen, die das System globaler Ausstellung für jeden bereit hält: Das Fotografieren für das Publikum, und sei es das sorgfältig selektierte eigene Publikum, zusammengesetzt aus anderen Fotografen, zu denen man ganz bewusst aus jeweils sehr speziellen Gründen einen Kontakt hergestellt hat.

Die eigenen Veröffentlichungen als Periodikum können obendrein eine beeinflussende Wirkung haben. Man gerät schnell unter Produktions- und Lieferdruck, die Veröffentlichung wird zur Selbstvergewisserung und zum Lebenszeichen ( „T. sendet nicht mehr, ist er tot?),
es entstehen Zwänge mit kommerziellem Charakter, und das bedeutet beeinflussende Kräfte, die schnell Wirkung auf das eigene Schaffen zeigen, primär qualitativ.

Das Resümee: Die von den kommerziellen Kräften emanzipierte Amateurfotografie steht als permanenter Prozess auf vier Säulen:

  • Bewusste Wahrnehmung
  • kritische Prüfung
  • Kompetenzerwerb
  • Selbstreflexion

Wer dies im Kopf behält, für den wird die Fotografie vielleicht doch noch zu einer Möglichkeit des persönlichen Ausdrucks. Vielleicht, wenn noch ein bisschen Talent dazu kommt. Ohne das ist alles für die Katz.

Aber Talent hat ja sowieso jeder. Habe ich gehört. Das sei jetzt de facto, also äh, quasi irgendwie eingebaut. In die Apparate hinein, als Weichware! Was seltsam ist. Denn früher, ohne Weichware, gab es auch keine Knipser ohne Talent. Jedenfalls habe ich das nie einen zugeben sehen. Außer in der Attitüde des Understatements bei den Oberangebern („Ich bin ja völlig talentfrei, aber mein neues Nokton ist einfach super“….), oder als freiwilliges Händehoch und anschließender Flucht mit eingezogenem Schwanz aus der Kritisierbarkeit („Hier mein neuestes Scheißbild“), was natürlich noch niemals funktioniert hat.