macchine piccole

Italien: des Deutschen liebstes Urlaubsziel, eine Reise ohne Besichtigung historischer Bauwerke ist fast undenkbar. Aber es sind nicht nur das Kolosseum, die Engelsburg oder das Pantheon, die uns magisch anziehen. Bereits ein altes, kleines sizilianisches Dorf scheint uns in eine bessere, lebenswertere Zeit zu transferieren.
Wir betrachten wohlwollend die bröckeligen Fassaden von kleinen Häusern. Wir laufen durch Gassen, die vor Hunderten von Jahren erbaut und seitdem nur sporadisch ausgebessert wurden und wir trinken unseren caffè lieber in der leicht schäbigen Espresso-Bar als in einem modernen und sauberen Starbucks.

Italia vendesi, Erice

Deutschland: Potsdam. Historisch kaum zu vergleichen mit alten italienischen Städten, aber ein Paradebeispiel für den hiesigen Umgang mit geschichtsträchtiger Architektur. Gründung im Jahr 993, Erhalt der Stadtrechte im Jahr 1345, im achtzehnten Jahrhundert wird Potsdam Garnisons- und Residenzstadt der Preußen. Mit dem Niedergang des Kaiserreichs 1918 bis zur deutschen Wiedervereinigung verliert die Stadt gegenüber dem großen Nachbarn Berlin zunehmend an Bedeutung. Im Jahr 1990 wird sie Landeshauptstadt des neuen Bundeslands Brandenburg, im selben Jahr wird auch die „Wiederannäherung an das charakteristische, gewachsene historische Stadtbild1 beschlossen. Geld ist jetzt reichlich vorhanden, die Folgen: großflächiger Abriss der jetzt ungeliebten DDR-Bauten, Restaurierung historischer Gebäude und Stadtviertel, Rekonstruktion im Krieg zerstörter Bauwerke wie die Garnisonskirche.
Das bisherige Resultat: Potsdam wirkt wie eine Bauausstellung mit Exponaten aus den letzten vier Jahrhunderten -ausgenommen große Teile der DDR-Moderne-, glatten, klinisch reinen Exponaten ohne Patina oder löchrigen Putz, keinerlei Atmosphäre, keine romantischen Anmutungen. Wir betrachten sie allenfalls interessiert, aber teilnahmslos. Vieles wirkt wie ein zu steril geratene Kulisse in einer billigen Fernsehproduktion.

Welche Autos hätte ich vor den Potsdamer Kulissenbauten fotografieren können? Richtig, gar keine. Die Diskrepanz zwischen Kulisse und Auto wäre zu groß gewesen.
Erst der Verfall, die Patina der sizilianischen Stadtszenerien schaffen das Bild einer belebten, benutzten alten Stadt. Hier wirken Autos nicht deplatziert, sie gehören zum Leben, zur Veränderung dazu. Hier ist nichts inszeniert, diese Stadt ist in der Gegenwart angekommen und sei sie noch so alt, sie wirkt authentisch.2

Von der Kulisse zu den Darstellern des sizilianischen Straßenverkehrs und dieser Fotos: den kleinen Autos. Sie sind allgegenwärtig und passen nicht nur räumlich in fast jede enge Gasse der sizilianischen Stadt sondern werden auch optisch eins mit ihrer Umgebung. Sowohl Autos als auch Gebäude verschleiern nicht ihr Alter, haben ihre Macken und Beulen, sind abgenutzt, teilweise verlebt.

Das Auto als Gebrauchsgegenstand, Palermo

Gründe? Povertà e/o tranquillita? Armut und/oder Gelassenheit? Sizilien ist arm, wenig einträgliche Arbeit, Landflucht. Die Stadtverwaltung von Gangi, eines der reizvollsten Dörfer der Madonie, verkauft alte, renovierungsbedürftige Häuser für einen Euro in der Hoffnung, dass die zumeist ausländischen Käufer das Haus durch ansässige Handwerker instandsetzen lassen und so das Dorfleben reaktiviert wird.

Oder ist es die den Italienern zugeschriebene Gelassenheit, die den Deutschen so häufig abgeht? Deren Mangel den Deutschen jeden Samstag mit seinem Auto in die Waschstraße treibt, auch wenn die Verschmutzung der Karosserie lediglich aus den Trockenflecken des letztwöchigen Waschgangs besteht?3
Hierfür spricht die Vielzahl verbeulter Fahrzeuge neueren Baujahrs auf Siziliens Straßen. Setzt der Deutsche auch nach einem kleinen Blechschaden an seinem Neuwagen Himmel und Versicherungen in Bewegung, um diesen Makel subito beseitigen zu lassen, scheint das den meisten Sizilianern ziemlich egal zu sein.

Ich kann mich nicht entscheiden, ob Armut oder Gelassenheit verantwortlich für das Erscheinungsbild des öffentlichen Raums Siziliens ist. Beides hat seinen Anteil und vielleicht ist die Gelassenheit auch armutsbedingt. Schicksalsergebenheit, Resignation?

Aber: Ressourcenknappheit kann auch von Vorteil sein. Geldmangel zur Beseitigung eines kleineren Blechschadens zum Beispiel. Man spart Zeit und Geld, der anfängliche Ärger über die Beule ist schnell verflogen.

Den entscheidenden Gewinn aber erfährt – und jetzt wird’s aktuell – unsere Umwelt. Wurde früher eine Beule noch energiesparend per Hand aus dem Blechkleid rausgedengelt, wird heute der beschädigte Kotflügel gegen einen neuen ausgetauscht. Der alte Kotflügel landet auf dem Schrott, muss wieder energieintensiv sortiert, eingeschmolzen, in eine neue Form gewalzt und gepresst werden.

Und auch der ökologische Fußabdruck des 30-40 Jahre alten Fiat Pandas4, allgegenwärtig auf Siziliens Straßen und Hauptdarsteller meiner Fotos, dürfte um Einiges kleiner ausfallen als die Bilanz der drei bis vier Neuwagen, die sich der Deutsche in diesem Zeitraum anschafft. Selbst wenn das neue Auto weniger verbraucht, bedeutet das über seinen Lebenszyklus hinweg betrachtet noch keine bessere ökologische Bilanz.
Verbraucht ein Neuwagen etwa einen Liter weniger pro 100 Kilometer, kompensiert er bei einer jährlichen Kilometerleistung von 10.000 Kilometern erst nach 20 Jahren Betrieb jene Menge Treibhausgase, die bei der Produktion des Fahrzeugs freigesetzt wurden.

Analog verhält es sich mit Immobilien, Stichwort graue Energie. Wie viele Jahrzehnte gehen ins Land, um die Energie aufzuwiegen, die ein Neubau gegenüber einem Altbau einspart, wenn man die Produktionsenergie und die verbrauchten Materialien des neuen Hauses mit einberechnet?

Sizilien ist eine wunderbare Insel, reich an Kultur, arm an Ressourcen. Von unseren Urlaubsreisen sollte man mehr mitnehmen als schöne Momente und romantisierende Fotos. Der aktuell herrschende Energie- und Rohstoffmangel, der Klimawandel werfen Fragen auf, die wir uns wesentlich früher hätten stellen müssen. Vielleicht haben die Sizilianer bereits Antworten gefunden. Antworten, die unseren Konsumhunger nicht immer stillen können. Aber Diäten können auch sehr gesund sein.

P.S.: Diese Fotoserie ist nicht entstanden, um Fragen der Nachhaltigkeit zu illustrieren. Primär bin ich dem Charme Siziliens und italienischer Autos erlegen, allen voran dem alten Fiat Panda. Ein Musterbeispiel an Nachhaltigkeit, Praktikabilität, Wartungsfreundlichkeit und nicht zuletzt: rundum gelungenes Design.

Fiat Panda. Die tolle Kiste.5

Panda-Werbung aus den Achtzigern © Zwischengas.com


1 Beschluss der Stadtverordnetenversammlung, Oktober 1990

2 Zur Verdeutlichung, diesmal mit vertauschten Länderrollen: wer wirkte wahrhaftiger -wir beschränken uns hier nur auf das Optische!-, der kürzlich verstorbene 83-jährige Hans-Christian Ströbele oder der 86-jährige Silvio Berlusconi?

3 Auf Sizilien ist mir selbst in den größeren Städten keine Waschanlage deutscher Dimension aufgefallen. Kleinere Anlagen werden von Tankstellen betrieben, Autoschlangen wie in Deutschland habe ich davor nie gesehen. Eine dieser Anlagen habe ich in Enna fotografiert. Ihre Zufahrt blockierte ein verstaubter Alfa.

4 Hunderttausende kleiner Fiats (500, 126, Panda, Punto) und der Lancia Y wurden im sizilianischen Werk Termini Imerese unweit Palermos von 1970 bis zur Schließung 2011 gebaut.

5 Slogan der Panda-Werbung aus dem Jahr 1983