3b- Fotografische Sozialisation durch Fotoforen und -magazine: Kompetenz und Bildung, Rahmenbedingungen der Forenkommunikation

Wer sich entschließt, sich in einem Fotoforum zu registrieren, „um etwas zu lernen“ bzw. wegen des „Erfahrungsaustauschs“ (die Anführungszeichen bezeichnen die Standards des üblichen Sprachgebrauchs) , muss sich unbedingt über einige grundlegende Rahmenbedingungen klar sein, die für jedes Forum im Internet gelten.

Zum Ersten ist ein Forum uneingeschränkt öffentlich, das heißt, jeder kann sich registrieren. Die Tragweite von „jeder“ mag den jüngeren Semestern nicht erschreckend erscheinen, den älteren Semestern mit Lebenserfahrung aber muss klar sein, was dies bedeutet: Es kommen auch alle die, denen man in der Realität aus dem Weg geht. Was in einem Forum nicht immer geht. So schrieb einmal einer in seiner Abschiedsmitteilung: Es gibt zu viele Vollpfosten hier, als dass man ihnen allen aus dem Weg gehen könnte!“.

Nicht nur profilneurotische Selbstdarsteller, Schulmeister, Pseudokünstler und ähnlich veranlagte, sondern auch tatsächlich psychisch Kranke und Suchtkranke, also Alkoholiker, manisch Depressive, Borderliner, Neurotiker und andere, deren mentale Gesundheit auf ähnliche Art und Weise aus dem Gleis geraten ist und für die ein virtueller Kommunikationsraum die ideale Umgebung ist, ihren Problemen Auslauf zu geben.

Es kommen auch, weniger spektakulär aber nichtsdestotrotz die Kommunikation zersetzende charakterlich deformierte und (deshalb?) sozial isolierte Figuren und soziale Verlierer, die Abteilung, in die auch die allgegenwärtigen Weltenerklärer und Verschwörungstheoretiker mit Aggressionsstau einzuordnen sind.

Zum Zweiten muss man bei den Erwartungen an ein Fotoforum immer im Auge behalten, dass das ein mehr oder weniger anonymer Raum ist, ganz unabhängig davon, ob die Plattformbetreiber die für andere User unsichtbare Hinterlegung des Klarnamens verlangen oder nicht. Das verhindert vielleicht öffentliche Morddrohungen und Beleidigungen der kostenpflichtigen Klasse, mehr aber nicht. Und ändert nichts daran, dass der User unter seinem Nick jede Rolle spielen kann, die er will. Die Erfahrung, die reale Person hinter dem Nick persönlich kennenzulernen, kann, nicht nur meiner Erfahrung nach, eine nachhaltig Erschütternde sein.

Zum Dritten darf man nie vergessen, dass bei Bildung und Erziehung eine Fotogemeinde nicht einmal die gesellschaftliche Realität abbildet, da die kulturell gebildete Schicht solche virtuellen Kommunikationsräume meistens schnell wieder verlässt angesichts der vorgefundenen, absurd dünnen Kenntnisstände und der Art des sprachlichen Umgangs. Die wenigsten sind auf Dauer bereit, ihre Unterhaltung in einer Umgebung zu führen, in der sackdämliche Vollpfosten unablässig dazwischenpöbeln, weil das Gespräch gerade über ihren Horizont hinweg von ihnen wegläuft. Eine besondere Plage ist die Spezies, die nur zum Tratschen und Labern kommt, an Fotografie keinerlei Interesse hat und folgerichtig sofort immer dann besonders gerne dazu stößt, wenn es um fachfremde Themen geht wie Whiskey, Autos, juristische Probleme oder Kindererziehung. In klug strukturierten Gemeinden gibt es für die ein extra Zimmerchen,  so wie es für die pöbelnden Arschlöcher auch eine unmoderierte „Soapbox“ geben muss, mit schalldichter Tür (s. APUG), was heisst, er muss über einen zweiten login quasi seinen Willen erklären, jetzt zu den Affen zu gehen, sodass er sich hinterher nicht darüber beschweren kann,  nach Affenart mit Kot beworfen worden zu sein. Alle anderen sehen und hören von dem Affentheater nichts und leben in Ruhe.

Und schließlich, viertens, geht es um die echte fachliche Kompetenz und wie dünn gestreut sie in Wirklichkeit ist in Foren. Das Phänomen, dass ganz viele Leute ganz viel nicht wissen, dies aber besser als alle anderen, trifft man nirgendwo in der Realität so gehäuft an, wie es in Fotogemeinden auftritt. Und dieser Missstand hat sich verbreitet, seit der Anteil der digital natives in den Communities wächst.

Der Erwerb der allernötigsten Grundlagen scheint eine überholte Anforderung zu sein.
Vielleicht sind diese, so einfach sie sind, immer noch zu komplex?
Das führt dann zu typischen Dialogen wie: „Wozu ist einen Gegenlichtblende gut?“
Antwort: “Braucht man nicht, ich habe noch nie eine verwendet“.

Wieviel Vertrauenswürdiges bleibt dem ratsuchenden Neuling, wenn er sich in einer Fotogemeinde registriert, weil er „was lernen“ will? Wenig, muss man leider sagen, in manchen Communities noch weniger. Der Anteil der User, die gestalterisch wie technisch kompetent sind, die einen Sachverhalt zutreffend erklären können und auch bereit sind, das zu tun, und die korrekte Umgangsformen mit der gebotenen Höflichkeit dem ihnen Unbekannten gegenüber pflegen, liegt, je nach Community, gefühlt im einstelligen Prozentbereich, in manchen nahe Null.

Dies alles ist eine Art Essenz oder ein Summary nach zehn Jahren Forenerfahrung in deutschen und internationalen Fotogemeinden und der Neuling möge es (möglichst alles) im Hinterkopf behalten, wenn er eine der heiligen, virtuellen Hallen der fotografischen Kreativität betritt. Er wird dann weniger überrascht sein über das, was er dort sieht und er wird vielleicht etwas besser beurteilen können, was die Ratschläge wert sind, die man ihm selbstlos zuteil werden lässt.

Was die einschlägigen Fotomagazine angeht, so  gibt es zu denen nicht viel zu sagen, außer daß die von ihnen gezeigten Bilder nach wie vor ästhetisch geschmacksbildend für den Mainstream sind:  Einerseits tradierte Hobbymotive, die seit ewigen Zeiten in einer Endlosschleife wiederholt werden, allerdings, in Zeiten der sich ausbreitenden EBV in zunehmend artifizieller Ausführung, immer im Windschatten der Werbeästhetik, andererseits Versuche von Fotokunst, eher gewollt als gekonnt. Da, wo Presse und Online Community zum gleichen Konzern gehören, ist die Kommerzialisierung am weitesten fortgeschritten und damit auch die technische und ästhetische Indoktrination.

Ansonsten sind  die Magazine  primär „Kaufberatung“, das heißt, sie testen die Geräte der Hersteller, von deren Werbeanzeigen sie leben. Und so kommt es, dass neue Modelle immer irgendwie und irgendwo besser sind als die Vorgänger, und sei die Differenz noch so marginal.  Sie stehen damit heute im Wettbewerb mit internationalen Testseiten im Internet und denen von irgendwelchen Testgurus, ihr Geschäft wird deshalb schwieriger. Generell sind die Tests für Laien nicht nachvollziehbar, und oft auch nicht für technisch gebildete Menschen. Entweder man glaubt’s oder man lässt es. Und man lässt es wirklich besser und schaut sich lieber die Bilder an, die man selbst mit den zum Kauf in Frage stehenden Kameras testweise geschossen hat.

Man wird herausfinden, dass die Leistungsdifferenzen, die in den kommerziellen Tests über eine willkürliche Parametersetzung und -bewertung „herausgetestet“ werden, in der Praxis de facto so minimal sind, dass man sie nicht oder kaum erkennen kann und dass man eher darauf achten sollte, dass man ein ergonomisch gutes und stabiles Gehäuse, einen guten Sucher und einen Autofokus bekommt, der auch bei schlechtem Licht funktioniert. Solcherlei  hat entscheidende praktische Bedeutung, nicht jedoch, ob die sogenannte Auflösung angeblich 15 lp/mm mehr bringt.

Im Grunde ist der Beitrag der Fachpresse zur Amateurfotografie ein rein kommerzieller und lenkt damit den Amateur in gleicher Weise vom Wesentlichen ab wie Fotoplattformen und -gemeinschaften auch.