3d – Fotografische Sozialisation durch Fotoforen und –magazine: Die Lüge von der konstruktiven Kritik

Etwas lernen oder dazulernen zu können, das ist das Versprechen aller sozialer Umgebungen, die die Amateurfotografie kennt, von der Online-Community über den Klub und den Stammtisch bis hin zum Workshop. Ein wesentliches Element dieses erhofften weil versprochenen Austauschs ist, ganz besonders in den Foren, die sogenannte „konstruktive Kritik“, und die Idee des Gebens und Nehmens, der ästhetischen und handwerklichen Selbsterziehung in vollendeter sozialer Harmonie.

Eine absurde Vorstellung, die vielleicht in der Generation noch für realisierbar gehalten wird, deren Köpfe bereits völlig vernebelt sind von dem Getute, Gegackere und Gemache in den sogenannten Social Media und die deshalb ohnehin keinen klaren Gedanken mehr fassen, geschweige denn formulieren können. Wer jedoch noch halbwegs bei Sinnen ist und nur ein kleines bisschen Menschenkenntnis gewinnen konnte in der Welt der Onlineforen, muss das versprochen Szenario des Selfteaching für eine grobe Irreführung halten und eigentlich auch für glatten Betrug,  zumindest für unlautere Werbung, wenn es sich um zahlende Mitglieder einer Fotoplattform handelt und dieses Versprechen quasi Vertragsbestandteil wird.

Dass dieses Versprechen durchaus von vielen, meist eher schlichteren Gemütern ernst genommen wird, zeigt sich darin, dass sich regelmäßig einer in den einschlägigen Foren darüber beschwert, dass er doch schon drei Monate hier sei und schon zig Bilder gepostet habe, die aber anscheinend keine Sau interessiere und schon gar nicht irgendjemand veranlasst hätten, ihm den quasi versprochenen kostenlosen Unterricht im Fotografieren zu geben. Diese Art der Beschwerde ist nicht nur erheiternd in ihrer Naivität, sie wirft auch ein bezeichnendes Licht auf den wesentlichen Teil des Lernversprechens, das besonders den jüngeren Semestern verlockend erscheint: Wissen will man sich nicht erarbeiten, Wissen will man, in verträglichen Häppchen aufbereitet, quasi vorgekaut eingeflößt bekommen, am besten visualisiert über ein Video auf Youtube.

Diese Erwartungshaltung wird immer wieder sichtbar. Von Literatur und lesen ist sowieso keine Rede mehr, so mancher stellt sogar Fragen, die sein Kamerahandbuch beantworten könnte.
Sogar Fragen, die mit Google und ein paar Klicks zu beantworten sind, stellt man lieber in einem Forum, spart so den Aufwand des Lesens und Verstehens. Dass auf diese unsystematische, völlig passive Weise keine fachliche Kompetenz erworben werden kann, und das Absaugen von Wissen je nach situativem Bedarf für die Gefragten eigentlich als eine unverschämte Zumutung erscheinen muss, wird nicht verstanden. Entsprechende Hinweise werden mit beleidigtem Unterton und mit trotzigem Hinweis auf den vermeintlichen Sinn des Forums quittiert. Gerade deshalb sei man doch hergekommen?? Soviel zu dem Lernversprechen und den einfältigen und trägen Muttersöhnchen, die es ernst nehmen.

Andere nehmen es weniger ernst, nutzen es aber als Feigenblättchen für ihre ganze Sozialmeierei, die sie in anderen Online-Umgebungen auch schon pflegen, und die der eigentliche Kern ihre Aktivitäten überall im Netz ist, wo auch immer sie verkehren und die Welt mit ihrer kommunikativen Person beglücken: Ob Auto, Kochen, Hundeerziehung, Buttplugs, eingewachsene Zehennägel oder Himalaya-Salz, ihnen geht es weniger um das Thema als darum, dabei zu sein, Beziehungen zu knüpfen und „Freunde“ zu haben. Freunde sind wichtig im Fall von Konfrontationen! Es könnte ja mal irgendein Drecksack von konstruktivem Kritiker vorbeikommen und meine Bilder als kümmerlichen, langweiligen Murks bezeichnen (was sie leider definitv sind) und dann setze ich den eben nicht nur auf „Ignore“, sondern lasse von einem Haufen  Freunde meine bis dato  angemaßte und jetzt angekratzte Reputation restaurieren, durch vielfache Kommentare, die allesamt versichern, bei dem Drecksack handle es sich um einen solchen, und der habe nicht verstanden, was konstruktiv eigentlich bedeutet.
Soviel zu denen, für die konstruktive Kritik schleimen und geschleimt werden bedeutet. Dabei wird auch nichts gelernt, jedenfalls nicht übers Knipsen. Eher darüber, wie viele widerliche Opportunisten es gibt in dieser Welt.

Bleibt noch eine Spezies im Foren-Zoo, auf die der gutgläubige Anfänger hoffen könnte, wenn es darum geht, etwas zu lernen: Der notorische Schulmeister, der überall zu finden ist und in Fotoforen natürlich auch, in verschiedenen Ausprägungen. Allerdings, lernen kann man von dem auch nichts. Denn er ist kein Lehrer, sondern ein Be-Lehrer und seine Motivation liegt keineswegs im selbstlosen Verteilen von hart erarbeitetem Wissen, sondern in der ganz und gar selbstgefälligen Darstellung seiner Person. „Schaut mich an und fallet auf die Knie in Ehrfurcht!“, das ist der tragende Unterton aller seiner Äußerungen. Obendrein ist sein Wissen allzu oft nicht selbst erworben in der Dialektik von Theorie und Praxis , sondern selektiv angelesene Information aus Wikipedia und anderen Quellen im WWW. Nun hat so mancher schon mit dem Lesen seine liebe Not und mit dem Verstehen erst recht. Und das alles dann auch noch richtig einzuordnen schafft keiner der Dauerabschreiber. Und so verzapft dieser Typus des durch Hörensagen verbildeten Schulmeisters zuweilen einen unglaublichen, grotesken Scheißdreck, vor dem man jeden Anfänger unbedingt bewahren möchte.

Die eine Spezies, von der ein Anfänger tatsächlich etwas lernen könnte, existiert in Foren nur (noch) als Spurenelement und ist im Aussterben begriffen. Es handelt sich hierbei meist um Herren mittleren oder auch fortgeschrittenen Alters, die schon in vielen Kriegen mitgefochten, ein kleines Vermögen mit überflüssiger Gerätschaft verloren und schon alles fotografiert haben und die lange schon niemand mehr bekehren wollen. Ihr Wissen ist solide und nützlich, ihre Beiträge frei von niedrigen persönlichen Beweggründen. Aber nur sehr wenige (und immer weniger) von ihnen halten es in der Forenumgebung längere Zeit aus. Dafür gibt es etliche Gründe und sie alle haben damit zu tun, wie ihnen und ihrem Wissen begegnet wird.

Dazu muss man wissen, dass in der postmodernen Orientierungslosigkeit der heutigen Massenfotografie mit dem imbezilen Credo „Nichts muss, alles kann!“ der Mangel an Ideen vertuscht werden soll und eine Freiheit bzw. ein demokratisches Recht propagiert wird auf verblödete, langweilige Bildchen. Alles ist gleich viel wert, ganz wie im Waldorfkindergarten.
Wer darauf besteht, dass das Blödsinn sei, wird in die elitäre Ecke gestellt, und im Sinne des Wortes, zur undemokratischen Sau gemacht. Zu diesem basisphilosophischen Konstrukt des Mainstream gehört, wer würde sich wundern, eine ausgesprochene Theoriefeindlichkeit, die sich besonders im Bereich der Bildgestaltung breit macht. Alles, aber auch alles, was in den letzten einhundert Jahren an Gestaltungsmethoden oder – prinzipien in der Fotografie entwickelt wurde, auch das, was von der Malerei übernommen wurde, muss dem Mainstream aus dem Weg geschafft werden. Es ist zu kompliziert, man müsste es erst einmal alles lernen und probieren und es erfordert ein gewisses visuelles Potential (Talent) in der Wahrnehmung. Hürde über Hürde, allesamt zu hoch. Also wird es als elitärer Anspruch abgemeiert. Und alles Elitäre bzw. als elitär Abgemeierte ist einer der großen Feinde in des Kleinbildzüchters gemütlicher Bilderlaube.

Und so  wird aus dem ganzen Fundus kreativer Methoden, aus dem ein Fotograf schöpfen kann, ein Haufen, starrer, überholter „Regeln“, an den sich nur die Ewiggestrigen klammern, mangels kreativem Potential. Sagt der Mainstream. Vor allem dann, wenn er sich (worst case) auf der Seite der Kunst sieht, und er damit einen weiteren Maßstab aus dem Weg geräumt hat, an dem man ihn messen könnte. Der passionierte Kleinbildzüchter ist per se kreativ, und Kreativität kann man nicht messen, jedenfalls nicht in seiner Vorstellungswelt. Sie ist und macht frei von jeder Vorstellung von Qualität, denkt der Kleinbildzüchter und weiss dabei hunderttausende Unterstützer hinter sich.

Interessanterweise hat dieses Credo nicht nur eine Funktion in der sozialen inneren Ordnung der Onlinegemeinden, sondern wird auch ideologische Geschäftsgrundlage für die Betreiber der Massenplattformen. So entfuhr Marissa Mayer, der CEO von Yahoo, neu berufen, um Flickr profitabler zu machen, einst die unbedachte Bemerkung, es gäbe heute, im Zeitalter völliger technischer Verfügbarkeit fotografische Produktionsmittel gar keine Profis mehr, jeder könne alles machen. Und sein, natürlich. Ein Statement, an sozialer wie fotografischer und geschäftlicher Dummheit kaum zu übertreffen, das heftigen Widerspruch erfuhr und für das sie sich öffentlich entschuldigen musste, vor den Profis. Aber es zeigt doch, wie hier eine Tür weiter geöffnet werden soll für die Massen der heutigen Bilderwelten, mit dem Argument, vor dem Vergleich mit den Eliten brauche man sich nicht mehr zu fürchten, die gäbe es jetzt nicht mehr.

Die eigentliche Absicht der Mayer war, ausgerechnet die zahlenden(!!) Pro Accounts in ihrem neuen Flickr loszuwerden, und mit ihnen deren verbrieften Ansprüche an das Copyright und die Verantwortung für die Sicherheit ihrer Bilder. Es ging ihr um eine noch stärkere Ausrichtung auf die Massenfotografie, jeder sollte seine Bilder bei ihr posten, in vollem Format(!), für immer und ewig und ohne Mengenbegrenzung, kostenlos. Das hat sie ungeschickt angefangen, aber immerhin konnten wir doch einen Blick auf das Geschäftsmodell der Massenplattformen werfen.

In dieser Umgebung sind Subjektivität und Relativität Basisbausteine einer pseudofreiheitlichen Ideologie, die sich vor allem darin praktisch erweist, die eigenen Elaborate jederzeit jeglicher Kritik entziehen zu können. Die Verteidigung wird typischerweise eröffnet mit Aufforderungen wie „Definiere, was heißt gut?!“ oder ähnlich bauernschlauen rhetorischen Versuchen, den Kritiker in die Relativitätsfalle treten zu lassen, um am Ende triumphierend nachzuweisen, dass alle Kritik auf subjektiven Kriterien beruhe (was richtig ist) und deshalb von nebensächlicher Bedeutung bzw. nicht mehr als die unmaßgebliche Meinung des Kritikers sei (was eine ausgesprochen dämliche Schlussfolgerung ist). Schachmatt, böser Kritiker! Ätsch!!

Ich habe lange gerätselt, woher dieses pseudophilosophische Fundament der totalen Relativität im fotografischen Onlineleben stammt und denke heute, dass dieses Fundament ganz einfach das einzige ist, auf dem eine Fotogemeinde aufgebaut sein kann, in der die Ästhetik eine Frage der Mehrheitsmeinung ist und konstruktive Kritik zwar programmatisch eingefordert wird, tatsächlich aber nicht mehr sein darf als plattes Lob, pro forma mit einigen kleinen, meist sinnlosen, aber harmlosen Alternativvorschlägen gewürzt.

Es ist klar, was dem widerfährt, der sich hier mit Ratschlägen exponiert, die eine bestimmte Haltung und ästhetische und handwerkliche Festlegungen auf ein klares Wertegerüst zeigen und die sich auch auf Punkte außerhalb des Forenuniversums beziehen, jenes Raums also und jener Akteure, von denen intra muros so gut wie nichts zu hören und zu sehen ist, zumindest was ihren Einfluss auf die fotografischen Ergebnisse betrifft.

Was immer in diesen Fällen geschieht ist, dass die Truppe der notorischen Forendauerdeppen herbeieilt, jene, die sich in jedem Forum nicht nur als Platzhirsche sondern auch als Gesinnungspolizei und Bewahrer des reinen Glaubens an die Freiheit und der echten Kunst verstehen und die dann sofort darangehen, in bewährter Weise zunächst barsch schulmeisterlich oder höhnisch herablassend auf die Relativität von allem und jedem hinzuweisen und den Ratgeber persönlich angreifen als jemand, der anscheinend einer sei, der sich im Besitze der „allein seelig machenden Wahrheit“ wähnt, also ein Idiot ist.

Je nach Temperament ergreift die Kompetenz entweder gleich schaudernd die Flucht aus dem Thread oder erst nach ausgedehnten Redeschlachten. Über kurz oder lang fällt aber immer die Entscheidung, die ganze Gemeinde für immer zu verlassen. Der Verlust von visueller und handwerklicher Kompetenz in Fotoforen ist deshalb ein sich selbst beschleunigender Erosionsprozess, eine Abwärtsspirale, und manche Gemeinden sind de facto völlig bereinigt von kompetenten Usern und auch von denen, die nicht auf einen halbwegs höflichen Umgang miteinander verzichten wollen.

Dies zu „Kritik“, jetzt zu „konstruktiv“: Da bleibt noch, theoretisch zumindest, das eine oder andere moderierte Forum, in dem Fotografen einzelne Bilder den Usern zur konstruktiv kritischen Betrachtung durch irgendwelche andere User anbieten. Diese Foren sind moderiert, nur rein sachliche Anmerkungen sind erlaubt, Polemik muss draußen bleiben, was Ruhe vor den speziellen Dauerdeppen sichert, nach deren gefühltem prozentualen Anteil unter den Usern der berühmte Arschlochfaktor berechnet wird.

Eigentlich also eine vielversprechende Rahmenbedingung, sollte man meinen. Leider aber offenbart sich in einem derartig parametrisierten Diskussionsraum nun ein überraschendes Ausmaß handwerklichen und gestalterischen Kompetenzdefizits, mit dem die Mehrheit in oft geradezu hoffnungsloser Weise behaftet ist. Besonders peinlich der Fall, wo genau mit der Kompetenz, die man gar nicht besitzt, versucht wird, Selbstdarstellung in seitenlangen Anmerkungen zu betreiben.

Wenn also die Polemik dummdreister Rechthaberei entfällt, wird in einem solchen moderierten Kritikersandkasten besser als sonst irgendwo die Sicht frei auf die tatsächlichen, dünnen Wissensstände der großen Mehrheit, auf ihr eher dürftiges oder nicht vorhandenes gestalterisches Talent und auf die durch ewige Nachahmung verbildete Ästhetik. Nur wenig findet man, was in angemessener Weise -soll heißen: unter Umgehung eigener Präferenzen- mit sachkundiger Kritik auf ein Bild eingeht, soweit dies überhaupt möglich ist. Das sind Einzelfälle, und so kann auch hier der Anfänger kaum etwas lernen. Eher wird er nach einiger Zeit des Mitlesens in die Gefahr geraten, sich irgendeinen Unsinn anzueignen.

Soweit zum Mantra der „konstruktiven Kritik“ und der Idee, durch sie etwas lernen zu können.