4e – Digitale Technik als Verblödungsfaktor: Die ewige Aufwandsfrage und die Modernitätsfrage in digitalen Zeiten

Von der Wiege bis zur Leiche, vergleiche, vergleiche, vergleiche!!!

Natürlich war die fotografische Ausrüstung schon auch vor dem Paradigmenwechsel in das digitale Zeitalter für die meisten auch ein technischer Präzisionsfetisch, ein Prestigeobjekt, ein Spielzeug oder das was im englischsprachigen Raum „male jewelry“ nennt. Nichts Neues also. Schon Cartier-Bresson, der für die gerade unter Leica-Eignern weitverbreitete Fetischisierung der Kamera nur Verachtung hatte, hielt dieses Phänomen für den Versuch, sich mit der Präzision der Kamera quasi ein Gegengewicht zu den Unwägbarkeiten des Lebens zu schaffen.

Zitat:
„ Für uns ist die Kamera ein Werkzeug, nicht ein hübsches, mechanisches Spielzeug. Vielleicht liegt in der präzisen Funktion der Mechanik ein unbewusster Ausgleich für die Ängste und Ungewissheiten des Alltags? Jedenfalls denken die Menschen viel zu viel an die Technik und nicht genug an das Sehen.“
Zitat Ende

Das Problem ist also alt, ich bin bereits an anderer Stelle in diesem Blog darauf eingegangen. Auch wenn man nicht sagen kann, die professionelle Fotografie sei frei davon (dort stand und steht die hochwertige Kamera nicht zuletzt als Zeichen beruflichen Erfolgs und signalisiert obendrein den Kunden Kompetenz), so blüht die Fetischisierung der Technik als eigentliches, heimliches Hauptthema der Freizeitknipserei erst richtig auf unter den Amateuren, mit progressiver Beschleunigung seit den Sechzigern des letzten Jahrhunderts. Denn mit der damals immer schneller werdenden technischen Entwicklung vor allem im Kleinbildmarkt stieg plötzlich der Druck auf alle, die immer das Neueste haben mussten, weil sie das für das Beste hielten. Andauernd gab es was Neues, und auch damals schon wurde der Begriff der „modernen Technik“ nicht nur im Kamerabau zum Mantra der Fetischisten.

Nach dem Eintritt der Fotografie in das Zeitalter des Bildes ohne Ursprung trat das ein, was eintreten musste und was vorher schon auf anderen digitalisierten Märkten (PC plus Peripherie und Software) eingetreten war: Die Innovationszyklen wurden kurz und kürzer, die Marktdynamik wurde rasant, der Wettbewerbsdruck stieg wie die Wertverluste auch. Und da die Anfangsprodukte sehr viele essentielle Mängel hatten, gab es ja auch sehr viel zu verbessern.

Aber jetzt wurde „Modernität“ anstrengend, um nicht zusagen nervzerfetzend, dann andauernd musste man mit hohen Verlusten (Wertverlust digitaltypisch verheerend) verkaufen und wieder neu kaufen. Wenn man modern sein wollte, und das will die große Mehrheit. Verwundert hat, wie blind die Massen dem Ideal der Modernität folgten, unter hohen Verlusten, obwohl die Ergebnisse noch unterirdisch waren, gemessen an dem, was man kannte.

Heute, am Ende des Wachstums zumindest bei den DSLR angekommen und damit in einer Zeit höchster Marktreife, in denen die Innovation sich de facto oft schon in der Änderung der Modellbezeichnung erschöpft, ist man kritischer geworden, aber der Modernitätsdruck ist immer noch da. Vor allem im oberen Preissegment, in dem es noch einmal eine echte Innovation gab, den Chip in Kleinbildgröße. Das ist das neue Schlachtfeld der vermeintlichen Optimierung durch Modernisierung.

Während in der APS-Knarzplastikabteilung immer weniger Knipser erwägen, von einer D5000 auf eine 5100, 5200, oder 5300 umzusteigen, wohl wissend, dass die 5400 schon im Rohr ist, deren Innovation darin besteht, dass sie ein Feature jetzt freigeschaltet hat (DAS ist das eigentlich Geniale an der Digitaltechnik), welches bereits die 5200 genetisch in sich trug, geht bei den „Vollformatlern“ die Post ab. Denn das ist das Modernste, was man jetzt kaufen kann. Weil es das Neueste ist und auch deshalb das Optimum, wie nicht selten explizit formuliert wird.
Allerdings geschieht dies in einer historischen Situation, in der Modernität auch von anderer Seite postuliert wird. Die spiegellosen „Downsizer“ im APS- oder MFT-Format nehmen für sich auch in Anspruch, das Modernste zu sein. Und jetzt tobt da ein Kampf um die wirkliche, die echte und wahre Modernität, wie sie die Amateurfotografie noch nicht gesehen hat. Nie konnte man besser hineinsehen, in die Seelen der Mainstream-Amateure! Dass eine kleinere Kamera für bestimmt Menschen die Bessere sein könnte als die Große übersteigt das mehrheitliche Fassungsvermögen ganz unübersehbar. Es werden für den KB-Chip Argumente aufgeboten aus dem Bereich physikalischer Esoterik, bei denen ganz plötzlich bisher unvermutete Abgründe an Wissensdefiziten aus der Optik aufbrechen, konstruierter Unsinn bis hin zu ganz neu erfundenen Begrifflichkeiten auf dem Niveau fotografischer Satire wie zum Beispiel dem „Blendenäquivalent“ und der Theorie der „Lichtmengen“.

Selbst altgediente Kämpfer an der Bilderfront, die dachten, sie könne nichts mehr überraschen, stehen mit offenem Mund staunend vor diesem Haufen Bullshit, der hier argumentativ aufgehäuft wird, sogar von Leuten, die sich als „Techniker“ bezeichnen. Nun braucht man für Kriege immer zwei Parteien und natürlich finden sich auf der Gegenseite auch die Gegenpole dieses Schwachsinns, die darauf bestehen, dass das Downsizing „die Zukunft sei“, eine codierte Formulierung, die die gleiche Behauptung verschleiern soll, wie sie die Vollformatriege aufstellt, dass sie nämlich mit dem KB-Chip über das bessere System verfügen. Für sie ist der Vollformat-Chip die Zukunft. Ja, jetzt geht es um die Zukunft, und da bekommt der Mainstreamer Schweißausbrüche und Herzrasen bei dem Gedanke, er könnt sich für’s Falsche entscheiden und damit vom Zug der Zeit fallen und zurückbleiben in der Wüste des Obsoleten, zusammen mit andere Losern. Ein moderner Albtraum, der so viele plagt in einer durchkommerzialisierten Welt, in der man sich über Dinge identifiziert.

Und genau das ist schon immer das Fundament aller technischer Amateurdiskussionen, die Einheitsbasis unterhalb der verbalen und argumentativen Ebene, auf der es um nichts anderes geht, als diesen Anspruch des besseren, des auch im sozialen Sinn „richtigen“ Systems (also um die eigene bessere Entscheidung) irgendwie rhetorisch unauffällig zu verpacken. Es geht also, um zum Kern zu kommen, darum, dass man selbst besser Bescheid weiß als die anderen und deshalb die richtige Entscheidung traf, und der andere die falsche. Bei genauer Betrachtung des Geschehens über lange Zeiträume hinweg muss man feststellen, dass dieses Besserwissen eigentlich der zentrale Motor ist, das alle, aber auch wirklich alle Diskussionen in Fotoforen Foren antreibt. Einer stellt eine Frage, und dann wissen alle was, und jeder, der hinzukommt weiß es besser. Logisch, denn anders würde die Teilnahme am Gespräch doch gar keinen Spaß und damit keinen Sinn machen. Denn Spaß ist da das einzig Sinnhafte, in den Mauern des Mainstream. Und deshalb ist alles, was in Foren über den reinen Austausch von Fakten hinausgeht, die reine Zeitverschwendung. Denn tatsächlich wissen nur sehr wenige etwas und die werden im Gewürge ums Podium immer untergepflügt.
Ihnen fehlt das spezielle Arschloch-Gen, das in solchen Umgebungen Voraussetzung für die Wahl zum Platzhirsch ist. Egal, ob im Foto-Forum oder im Golf-Forum.

Modernität, noch nie so wertvoll wie heute, und noch nie so mühsam und so teuer erkämpft wie heute! Denn diese Welt ist nicht nur die der immer kürzerer Innovations- und Produktzyklen, sondern auch die überraschender technologischer Richtungswechsel und so hat sich das Modernitätsproblem um das Thema Zukunftssicherheit erweitert. „Hat es noch Sinn, in mein System zu investieren?“ fragt sich der Amateur angstvoll. Und sagt investieren wie ein Profi, obgleich er sein Geld doch sowieso schon immer zugunsten einer Modernität zum Fenster hinauswirft, die es gar nicht gibt. Die Qual der kleinen Entscheidungen wird zu der großen Qual der großen Richtungsentscheidung. Prognostik wäre jetzt angesagt und manche, obwohl ohne Ahnung vom Markt, von BWL oder von Marketing, wagen sie dennoch und geraten dabei mit ihren Prophezeiungen in den Bereich der kaufmännischen Esoterik, ganz wie die „Techniker“ in die physikalische Esoterik abheben, bei dem Versuch etwas zu begründen, was nicht existiert. Das Optimum beispielsweise, oder gar das zukunftssichere Optimum.
Jedenfalls, nicht zu wissen, über was man da gerade spricht, scheint eine weitverbreitete Gemeinsamkeit unter den chronischen Allesganzgenauwissern zu sein, und wehe dem, der das ganze Gefasel ernst nimmt. Er tut dann garantiert genau das Gegenteil von dem, was für ihn das Beste wäre, das Beste im Sinne des auf seinen persönlichen Bedarf hin exakt passende.

Die Zahl derer, die ihren Bedarf kennen und ausreichende Kenntnisse darüber haben, was sie dafür beschaffen müssen und dies dann auch tun, ohne sich um die Prognosen und Prophezeiungen der stadtbekannten Allesbesserwisser zu kümmern, ist gering. Eine dünne geistige Oberschicht der Vernunftbegabten im Mainstream die -das hatten wir bereits an andere Stelle- bereit sind, sich selbst sachkundig zu machen und auf der eigenen Wissensbasis zu entscheiden.

Am leichtesten haben es in dem System der permanenten Moderne die, die sich entschlossen haben, das Problem der großen und kleinen Entscheidungen mit Geld zu erschlagen. Sie kaufen sich einfach von allem das Beste und haben ihre Ruhe. Dieser Typus hatte früher eine Linhof, eine Hasselblad, eine Rolleiflex, eine Pentax 6X7, zwei Leica M und R und eine Rollei 35 S, konnte so überall mitreden und schwebte über allem Streit. Seine Bilder waren zumeist grauenvolle, grenzdebile kreative Bankrotterklärungen, aber das konterte dieser Typus mit einem grinsenden Bekenntnis zur seiner völligen Talentfreiheit und der Ergänzung, er wolle auch gar nicht ein guter Fotograf werden, ihm mache es nur Spaß, mit dem edlen Zeug im Wert einer Eigentumswohnung herumzuspielen, und er könne sich das halt auch leisten. Dieser Typus existiert auch heute noch, in digitaler Version, und er ist mir unter allen Fetischisten und Angebern auch heute noch der liebste mit seiner souveränen Ehrlichkeit, mit der er sich zu diesem luxuriösen Blödsinn bekennt. Diese Ehrlichkeit erst erzeugt die Toleranz („Ok, if that makes your canoe flow, do it!“) , die von der Vollpfostenriege der eifrigen, schweißgebadeten Allesbesserwisser andauernd reflexartig eingefordert, von ihr selbst  aber nicht einmal ansatzweise geübt wird.