4c – Digitale Technik als Verblödungsfaktor: Der ISO-Wahn und der DOF-Wahn im Vollformatsegment

Als das digitale Zeitalter auch über die Fotografie der Amateure kam, bekamen die ernsthaften unter ihnen, die fotobegeisterten, ambitionierten Freizeitfotografen, SLRs mit APS-Chip serviert, mit „Halbformat“ also, genau das Halbformat, das kurz zuvor gerade im analogen Bereich voll in die Hose gegangen war. Den meisten Amateuren war das jetzt wurscht, denn digital war doch die Zukunft, war total modern, ein Paradigmenwechsel. Und um Film qualitativ zu übertreffen, schien APS bei weitem auszureichen.

Man konnte jetzt schier unbegrenzt seine Schrottbilder in Massen produzieren (viele Verschlüsse kapitulierten vor der neuen Freiheit, 3000 Bilder an jedem Wochenende aufzunehmen), um sich hinterher etwas Präsentables rauszusuchen, man konnte sie mit Software verschlimmbessern und überhaupt die fotografierten Ergebnisse so lange manipulieren, bis man sie selbst nicht mehr erkannte. Es gab zwar viel zu meckern über dunkle Sucher, über den Cropfaktor für den eigenen, analogen Objektivbestand, über die elende Wahl zwischen ausgebrannten Lichtern oder abgesoffenen Tiefen, über Tonwertabrisse bzw. überhaupt über eine kümmerliche Tonalität und die daraus resultierende Mitteltonfotografie, über grauenvoll übersättigte Comicfarben im JPEG-Output, über fehlende Tiefe, über groteske Übergänge, die Objekte wie Scherenschnitte gegen den Hintergrund stellten und über vieles mehr. Nur ganz vereinzelt jedoch gab es Kritik an den verschlechterten Freistellungsmöglichkeiten. Und die kam von den ganz wenigen, die von selektiver Fotografie wirklich etwas wussten.
Der Rest feierte die neuen, tragbaren Scanner mit all ihren schockierenden Unzulänglichkeiten wie eine Erlösung. Endlich war es wurscht, wie viele Serienbilder man mit Dauerfeuer zusammenknallte, bis der dämliche AF endlich auch ein brauchbares Bild ablieferte. Kostete ja nichts! Dacht man. Nur über eine Sache beschwerte sich kaum einer: Dass der Chip prinzipiell einfach zu klein sei!  Dieser Vorwurf wäre auch in dieser Form verfehlt gewesen, denn der Chip war im Halbformat potent genug, um Film Konkurrenz zu machen, zumindest bei Auflösung und Detaildarstellung.

Seit einigen Jahren gibt es nun das „Vollformat“, ein schon an sich suggestiver Begriff in der digitalen Fotografie. Denn da gibt es kein volles Format! Nicht mehr! Es gibt inzwischen, seit auch digitales Mittelformat mit der neuen Pentax bezahlbar wurde, nur noch verschiedene Formate, alle mit den ihnen eigenen Vor- und Nachteilen. KB als „Standard“ existiert nicht mehr, und als „Optimum“ schon gar nicht. Heute herrscht Wahlfreiheit bezüglich der Formate, ganz so, wie sie schon immer herrschte. Nur dass heute, vor allem bei den kleineren Formaten, mehr Wahlfreiheit herrscht, je nach Bedarfslage . Jedenfalls für Leute, die in der Lage sind, ihre Investition für ihren realen Bedarf zu dimensionieren. Allerdings, wer kann das überhaupt? Das kann bis heute nur eine kleine Elite, der Rest hält an dem Grunz-Satz fest, viel hilft viel, und zuviel kann auch nicht schaden. Also ist „Vollformat“ der neue Maßstab. Vor allem für die notorische Angeberkaste, die schon immer ihre Zeit damit vergeudete, der Kleiderordnung einer vermeintlichen Elite entsprechen zu müssen, obgleich ihre Fotos immer ein konstant armseliger, hoffnungsloser Output blieben!

Es ist interessant, wie konsequent die Argumente der Amateure bis heute an der Bedarfsorientierung vorbei zielen, so wie sie es schon immer taten. Und so wundert es nicht, dass im Zusammenhang mit dem KB Chip auch der Hype um große Anfangsöffnungen wieder neue Blüten treibt, der früher schon geradezu schwachsinnige Argumentationen rund um die „Lichtriesen“ zustande gebracht hatte. Die „Lichtriesen“ finden jetzt einen neuen Verwendungszweck.

Denn jetzt gibt es eine neue Kaste Verblödeter, die sich Kameras mit KB Chips kaufen, dazu ein hochlichtstarkes f 1,4/35mm um damit nichts weiter machen, als völlig sinnfreie Bilder mit Supermini DOFs zusammenzuknipsen, die nur einem Zweck dienen: sie sollen demonstrieren was mit kleineren Chips alles NICHT machbar ist. Auch wenn alles Schwachsinn ist, was da an Demonstrationen zu sehen ist, das spielt kein Rolle. Man versucht sich vorzustellen, was für psychische Deformationen Voraussetzung für ein derart infantiles Gehabe sein könnten, allein, es gelingt nicht. 5000 Euro Eintrittsgeld lassen sich diese Leute den Zugang zum Klub der Optimierten kosten, den realisierten Wertverlust beim Verscherbeln des alten APS Systems nicht eingerechnet. Aber, das ist der neue Hype des Mainstream, das neue „Qualitätsziel“, und wer das Geld noch nicht zusammengekratzt hat, wird später folgen.

Verschwindend selten hört man die Meinung, APS reiche für den persönlichen Bedarf, man werde keinen Systemwechsel vornehmen. Geradezu marginal hingegen ist der Anteil derer, die das gestiegene Leistungsvermögen auch kleiner Chips zum Anlass nehmen, in kleinere kompaktere und leichtere Systeme umzusteigen, in das Segment der System- und Kompaktkameras. Ein paar Prozent Marktanteile erreichen die sogenannten Systemkameras heute auf dem Gesamtmarkt der anspruchsvollen Technik mit Wechselobjektiven. Eine Nische, die zwar wächst, aber dennoch nur den kleine Haufen derer darstellt, die sich auf ihren eigenen Verstand und ihre Sachkenntnis verlassen und so ein Downsizing wagen können. Die kleineren Systeme sind die eigentliche Innovation der Digitalfotografie der Amateure, eine neue Klasse der Portability, wie sie bisher nicht denkbar war. Dennoch, der Mainstream klebt an den überkommenen Vorstellungen, die ihm die Hersteller einst eingetrichtert haben. Eine Kamera mit kleinerem Chip zu kaufen anstatt eine mit größerem erscheint ihm wie der blanke Wahnwitz.

Kommen wir zum ISO-Wahn, auch ein Punkt, wo die Hersteller durch ihre Entwicklungen und beschwörenden Versprechen die Verblödungsprozesse vorangetrieben haben. „Finger weg vom ISO-Knopf!“, war der Titel eines Beitrags auf einer Fotoseite im Internet, in dem darauf hingewiesen wurde, dass das alte ISO Problem nicht dadurch als gelöst betrachtet werden kann, dass jetzt ein Knopf an der Kamera ist, an dem jeder Depp nach Gutdünken herumdrehen kann. Auch das Kameras jetzt einen ISO-Auto-Modus haben, demonstriert die Verwahrlosung der Sitten, die auch vorangetrieben werden durch die neue Grundhaltung „Na ja, ich mach’s erstmal, wegschmeißen kann ich es immer noch“.  Das Qualitätsproblem, das schon zu analogen Zeiten existierte bei den hohen Empfindlichkeiten,  existiert heute in der absolut unveränderten Form weiter.
Der Artikel fand wenig Widerhall mit seinen unbequemen Thesen, die im Grunde darauf hinausliefen, dass man erst alle anderen Möglichkeiten ausschöpfen müsse, bevor man am ISO Rad dreht und sich, wenn unvermeidlich, überlegen solle, ob man die Aufnahme dann in dieser Form und Qualität überhaupt haben wolle. Man sei ja kein Reporter, der ums Verrecken irgendwas gerade noch Erkennbares abliefern muss.

Es ist faszinierend, wie leicht es den Herstellern, vor allem den Markführern mit zusammen neunzig Prozent Marktanteil, gelingt, ihre Mainstream-Kundschaft zu überzeugen, dass einerseits immer mehr und immer dichter gepackte Pixel ein Fortschritt seien, und dass die brauchbaren ISO-Bereiche trotzdem immer weiter steigen können. Geheimnisvolle „engines“ und magische Algorithmen im internen Processing machten das möglich. Wie kann das gehen? Überhaupt nicht! Denn bis heute sehen hohe ISO Zahlen  furchtbar aus, ganz wenige Kameras ausgenommen, die allerdings dann bei dem Pixel pro Fläche Verhältnis für den Amateur erschreckend geizig sind, siehe Profikameras.

Warum wird das von den Mainstreamern akzeptiert? Das ist einfach: Wenn drei Tester alle sagen, das Rauschen sei bei ISO 1600 gut bzw. wieder mal verbessert worden oder jetzt endlich „akzeptabel“, dann IST es gut oder verbessert oder „akzeptabel“. Auch wenn dazu ein Demo-Ausschnitt zu sehen ist ist, der überhaupt nicht gut ist. Sie sind, nüchtern betrachtet, gemeinhin so verrauscht und vor allem in ihrer Detailtreue reduziert, dass man bei den meisten Kameras schon ab ISO 3200 nicht mal mehr einen akzeptablen Print 30X40 machen will, von der Bildschirmdarstellung ganz zu schweigen. Es mag ja sein, dass hohe ISO-Werte heute besser aussehen als vor 15 Jahren, nachdem sie in diesem Zeitraum alle sechs Monate irgendwie „verbessert“ wurden,  gut sieht das Zeug aber immer noch nicht aus.

Was sagt uns das? Es sagt, dass Qualität im Mainstream eine rein relative Größe ist, die sich nur misst an den Maßstäben innerhalb des geschlossen Systems, das die massenhafte Amateurfotografie darstellt. Die Qualitätsvorstellung der Individuen sind mehrheitlich über einen Sozialisationsprozess innerhalb dieses gelenkten, geschlossenen Systems entstanden und verankert und sie sind vor allem eins: Relativ zum System der Amateurfotografie. Woanders gelten ander Maßstäbe.
Es war bereits bei der Einführung der Digitalfotografie überraschend zu sehen, welche unglaublichen technische Defizite plötzlich akzeptabel waren, und so ist das bis heute geblieben. Qualität misst sich nicht am eigenen Eindruck und der eigenen Urteilsfähigkeit, sondern an den relativen Möglichkeiten der Technik und wie sie von der Journaille des Fotomarktes, gleich ob Print oder Online, bewertet wird. Das gilt für eine sehr große Mehrheit im Mainstream der privaten Massenfotografie. Das Groteske dabei sind die Widersprüche, die dieses kommerziell gelenkte System produziert. Einerseits wird am oberen Ende die Qualitätsanforderung in rein theoretische Bereiche getrieben, andererseits wird am unteren Rand eine Qualität akzeptiert, die anderswo im Müll landen würde.

Hat man diesen Bezug verstanden, versteht man auch vieles von all dem Rätselhaften, das in Fotoforen geschieht, wenn dort über Qualität gesprochen wird, gleich ob technisch oder gestalterisch: Es fehlen einfach echte Maßstäbe, solche von außerhalb des Spaßparadieses.
Dass in diesem Paradies immer und überall streng darauf bestanden werden muss, dass jede Art von Beurteilung rein subjektiv sei, erscheint dann nur logisch. Anders ging es ja nicht in einem Verein, wo keiner weiß, was draußen, in der Restwelt jenseits der Mauer, so alles geschieht.

Über den Aspekt bzw. die Folgen des geschlossenen Systems für seine „Insassen“ wurde schon öfter gesprochen, allerdings immer nur in Bezug auf Fotoforen, und meist von denen, die diesen pseudosozialen Medien für immer den Rücken gekehrt hatten, weil sie der Mischung aus offener Psychiatrie und kompetenz- und wissenbefreiter Bastelbude müde wurden. Tatsächlich aber ist  der gesamte Mainstream der privaten Fotografie ein geschlossenes System, die Foren sind nur eine praktische Demonstration, ein Versuchsaufbau quasi, der das geschlossene System als real existierend in drastischer Weise vorführt.