6c – Amateurfotografie jenseits der Mehrheiten: Bilderwelten jenseits der Mehrheiten

Im Kapitel 2 Bilderwelten a-e wurde bereits ausführlich auf die thematischen und ästhetischen Fixierungen der Amateurfotografie eingegangen. Und auch auf die Art und Weise, wie deren Vordenker und Vorkämpfer auf alles reagieren, was außerhalb ihrer Friedhofsmauern anzusiedeln ist.

Wenn ich gewiss Einige enttäuscht habe, weil ich bis jetzt immer noch nicht damit herausgerückt habe, was denn nun die ultimativ beste Kamera des Universums sei, so soll doch im fotografischen Feld anhand einiger Beispiele aufgezeigt werden, was mit den positiven Alternativen gemeint ist, von denen ich bereits sprach.

Ich unternehme diesen Versuch wohl wissend, dass er für die notorischen Schwachköpfe, die in solchen Fällen immer sofort bereit sind, von ihrer fotografischen Impotenz öffentlich Zeugnis abzulegen, wieder Anlass sein wird, ihre ebenso bekannten wie idiotischen Bewertungen anzubringen. Nur ist dies kein Forum, und für diese Sorte der vorlauten Fotosimpel wird der Blog auch nicht geschrieben. Also wird der ganze Müll von dieser Seite gleich im Klo entsorgt und bleibt den im Folgenden als Beispiele aufgeführten Autoren erspart.
Und wer meint, hier würde alles Missliebige von einem autokratischen Autor gelöscht, der hat Recht. Alles Dämliche und Unverschämte ist hier als missliebig kategorisiert. Dies vorab in der Hoffnung, der eine oder andere schreibt seinen blöden Müll erst gar nicht, das erspart mir die Entsorgung.

Was also weicht positiv ab von den Blümchen, den Vogis, dem Wildlife im Zoo, der schlecht ausgeleuchteten, missgelaunten weil frierenden nackten Freundin mit dem tiefen Abdrücken von Slip und BH, vom Milliardsten schiefen Eiffelturm, dem Millionsten Eisvogel im Sturzflug, den schief verkippten Architekturfotos, den Sonnenuntergängen und Sonnenaufgängen, den knallbunten, überschärften Landschaftsschinken und dem HD-Kitsch der „Lost Places?

Was gehört in positiver Weise nicht in den Motivkanon der Hobbyknipser und wie unterscheidet sich diese Fotografie vom endlosen Schwall der nachgeahmten oder gar kopierten Belanglosigkeiten? Sie unterscheidet sich von der maschinenhaften Repetition des Flusserschen Knipsers in mehrerlei Hinsicht.

Zu allererst durch die Kategorie, der sie nicht zuzurechnen ist: Der Schönbildfotografie.

Es gibt nur zwei Kategorien in der Amateurfotografie. Die Schönbildfotografie und die beschreibende, berichtende Fotografie.

Die Kategorien haben Überdeckungsbereiche, unterscheiden sich aber ganz entscheidend in ihren Absichten: Die Schönbildfotografie mit ihrer kompensatorischen Trost- und Verdrängungsintention, die beschreibende, dokumentarische Fotografie mit der Intention einer reflektierenden Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenswelt, also genau das Gegenteil der Schönbildfotografie.

Weiterhin zeichnet sich die Amateurfotografie jenseits des Mainstream ganz wesentlich dadurch aus, dass ihr, als beschreibende und berichtende Fotografie, eine (eigene) Idee zugrunde liegt. Denn das ist der erste Teil dessen, was „kreativ“ tatsächlich meint; nicht die Umgestaltung der bekannten Dekors in Endlosschleifen.
Dazu gehört, dass diese Idee in ein gestalterisches Konzept mündet,. Das ist der zweite Teil des Kreativitätsbegriffs. Und am Ende dann, dass das Konzept visuell realisiert wird im Rahmen eines geschlossenen Projekts. Das ist das Handwerk.

Alles das ist Lichtjahre entfernt vom Chasseur d’images, dem Bilderjäger, der ohne zu wissen wozu, einfach loszieht um sich überraschen zu lassen auf der Suche nach „Motiven“, also dem singulären Schön-oder Spektakulärbild, und der sich hinterher wundert, wie wenig erfreulich das Überraschende sich wiederfindet in den Ergebnissen.

Genau an diesem Punkt stehen wir auf der Grenze zwischen Mainstreamknipser und Amateurfotograf. Wenn irgendetwas an einem Amateur professionell sein kann dann nicht seine Kamera, sondern die systematische Arbeitsweise, von der Idee zum Projekt.

Was heißt nun, in der beschreibenden, berichtenden Fotografie „eine Vorstellung von der eigenen Fotografie haben“? Es bedeutet primär die bereits erwähnte persönliche, reflektierende Auseinandersetzung mit irgendeinem Teil des eigenen Daseins, mit der Welt wie sie ist, nicht wie sie sein soll, mit all dem, was man persönlich für berichtenswert hält. Ein -im Gegensatz zum kleinen Schönbildkatalog- enormer Raum, in dem sich jeder fotografisch mit den Dingen beschäftigen kann, die ihn persönlich interessieren und die ihm, ganz wichtig, auch die Loslösung vom Bild als art pour l’art ermöglicht. Denn jetzt ist alles feine Handwerk nicht mehr Selbstzweck sondern dient allein der Darstellungsqualität, dem eigentlichen, darzustellenden Inhalt nachgeordnet, der jetzt im Vordergrund steht. Damit wird die Fotografie wieder vom Kopf auf die Füße gestellt.

Um jedem Missverständnis sogleich zu begegnen, sei darauf hingewiesen, dass diese Art der Fotografie wesentlich höhere fotografische Anforderungen erfordert als die Schönbildfotografie. Denn es gilt, wesentlich komplexere Informationen und Emotionen zu übermitteln als das „“Ooch wie süüüüß!!“, das mittels des schlafenden Hundebabys evoziert werden soll.

An diesem Punkt täuschen sich die großen Gralshüter der Schönbildfotografie immer zuverlässig mit ihren Anmerkungen, die da ewig auf die gleiche Weise lauten: Langweilig, das kann jeder, belanglos, trivial, Pseudokunst, triste, deprimierend usw. Was sie damit beweisen ist vor allem, dass sie oft graphisch und farblich sorgfältig aufgebaute Bilder gar nicht als solche zu erkennen vermögen. Und nicht selten kommt bei ihnen das spontane Bekenntnis zum kompensatorischen Geknipse, die Welt sei schon hässlich genug, und die Hässlichkeit müsse man nicht auch noch fotografieren. Ein erstaunlich depressives Lebensgefühl, das enthüllt, warum für manche Leute alles andauernd vor allem Spaß machen muss, also einen speziellen Spaß, der nichts mit bestimmten Teilen ihrer Realität zu tun haben darf.

Alternativer Fehler, auch beliebt: Die Dinge sind eben so, wie sie sind und warum sollte man Sie fotografieren? Weiß doch jeder, wie sie aussehen? Das ist der Fatalismus bildungsferner Schichten, für die alles so ist, wie es aussieht und deshalb in der Fotografie nichts verloren hat. Die Wirklichkeit besteht aus Tatorten und Indizien, aus Spuren menschlicher Aktivität, und die Kamera schafft die Möglichkeit, davon das zu zeigen, was das Auge zwar gesehen hat, der Geist aber nicht wahrnahm, weil es das Bekannte, Alltägliche ist, das schon immer da war und deshalb „trivial“ ist.

Ein weitverbreiteter Irrtum im zuverlässig stets halbgebildeten Mainstream ist die Vorstellung, alles jenseits der Schönbildfotografie sei der Kategorie der topografischen Fotografie zugeordnet.
Also den Bilderwelten Marvilles, Atgets, oder der New Topographics. Gerne wird auch das Ehepaar Becher in diese Kategorie gewaltsam „reingeordnet“, obwohl sie keineswegs so eingeordnet werden können. Die Vorstellungen von einer Fotografie jenseits der Friedhofsmauern ist diffus und muss mangels Übersicht zwangsläufig im Ungenauen bleiben.

Tatsächlich existiert in den Weiten jenseits der Friedhofsmauern eine Menge mehr berichtende und beschreibende Dokumentation als nur die topografische Fotografie.
Es existiert dort zum Beispiel auch eine Reisefotografie, die den Namen auch verdient, und es existiert die private Reportage zu diversen Themen des menschlichen Lebens.

Dann schließlich noch die Spezialisten, für die die Fotografie ein rein dokumentarisches Medium ist, was sie aber nicht davon abhält, wunderbare Bilder zu machen von einer fotografischen Qualität, von der sich die ganzen selbsternannten Kreativheinis innerhalb der Mauern etliche Scheiben abschneiden könnten. Wenn sie das könnten.

Spezialisten für die Geschichte der Architekturstile, der Gartenstädte und Werkssiedlungen, für sozialen Wohnungsbau, für Nahverkehrssysteme und ihre Geschichte, für Industriebauten und –gebiete, Protokollanten alles Erlöschenden und Erloschenen, Spezialisten für Übriggebliebenes aus diversen historischen Epochen, für die Zeichen des ökonomischen Wandels und nicht zuletzt die, die ihr Gegenwartserleben beschreiben in seiner mittlerweile global ubiquitären, gleichförmigen Realität jenseits aller Bilderklischees.

Und obgleich allen diesen Amateuren das Foto nur Beweismittel, Indiz im historischen Prozess oder Tatortbeschreibung ist, legen sie doch höchsten Wert auf eine fotografisch anspruchsvolle Darstellung ihrer Dokumentation. Und so kann es sein, dass das Foto einer fünfzig Jahre alten Straßenbahn, in einer Vorstadt von Vilnius um die Ecke kommend, über die reine Dokumentation hinaus parallel zum Kunstwerk wird.

Das ist, was man als gestaltete Dokumentation bezeichnen kann und was nicht vorkommt im Mainstream und seinem Katalog der Vorlagen für das große Malen nach Zahlen. Und was deshalb in jedem Fall von den Insassen der Systeme der Megabilderhaufen und ihrer angeschlossenen „Kommunikationssysteme“ ironischerweise als trivial, banal, langweilig und fotografisch primitiv abgetan werden wird, obgleich das die Bezeichnungen sind, die ihre eigene fantasielose Nachmacherei am ehesten trifft.

Was die Amateurfotografie jenseits des Mainstream auf den nationalen Plattformen angeht, so ist ihr Vorkommen in Deutschland auffällig dünn. Englischsprachige, internationale Foren bieten mehr. Das nicht nur, weil dort eben die ganze Welt zusammenkommt, sondern weil Amerika wie Großbritannien eine besser entwickelte Fotokultur besitzen. Es gibt dort deshalb einfach mehr interessante Amateurfotografen auf einer Schaffenshöhe, die im deutschen Internet nur dünn vertreten ist. Und das, obwohl z.B. in den USA außer HCB oft nur wenig bekannt ist über den Rest der fotografischen Welt.

Nachfolgend eine kleine Auswahl von Amateuren, die in besonders hervorragender Weise illustrieren, was es mit der Fotografie jenseits des Mainstream auf sich haben kann.

Kay Röhlen, Düsseldorf
Als Erster sei genannt Kay, nicht nur, weil seine Bilder mich viel gelehrt haben sondern weil er es war, der mein Interesse auf die topographische Fotografie gelenkt hat, was mir ermöglichte, meine eigenen, bis dato ungerichteten Vorlieben in ein Konzept mit einem entsprechenden theoretischen Fundament zu fassen, fotografisch und soziologisch. Er war es, der mich mit den Situationisten bekannt gemacht hat und mit der Fotografie der New Topographics. Ein wacher Kopf, kein Theoriefeind, gerne provozierend, fotografisch beweglich und experimentierfreudig. Er war es, der einst die Idee der Georgfarm hatte, mit der an der Sinnhaftigkeit der Foto Communities und ihrem System der demokratisch gewählten Schönheit gerüttelt wurde: https://kayroehlen.net/iw/

Von der 4×5′ Plaubel zur spiegellosen Systemkamera hin, das war kein Problem. Handwerklich damals wie heute bleibt Kay immer der Qualität verpflichtet. Ein kritischer Geist, der konsequente Haltung zeigt und zu verteidigen bereit ist; das ist selten heute in einer Zeit des Idiotencredos, das könne doch jeder machen wie er will.
Für mich eine der Quellen der Inspiration im Internet, die mich immer wieder daran hindern, mit der Knipserei Schluss zu machen.
https://kayroehlen.net/
https://www.dazzledorf.net/ https://www.flickr.com/photos/13013948@N07/

Jörg Schmiedekind, Berlin
Topografische Fotografie der Spitzenklasse, die fundierte fotografische Ausbildung sieht man dem Architekten im Hauptberuf in jedem Bild an. Er protokolliert hauptsächlich in Berlin den städtebaulichen Umbruch als Dauerzustand, und wenn er nach Fuerteventura fährt, bringt er Bilder mit, die uns wissen lassen, wie es dort wirklich aussieht, hinter den touristischen Fassaden.
https://www.flickr.com/photos/23314472@N07/

Madame Version (N.N.)
Aus dem Südwesten Deutschlands: Topografische Fotografie auf höchstem Niveau, ausgereifte Kompositionen, routinierter Umgang mit Licht. Jedes Bild vermittelt spontan den Eindruck, dass es mit so viel Überlegung angefertigt wurde, dass es jetzt eine endgültige, nicht zu verbessernde Form gefunden hat.
https://www.flickr.com/photos/50965706@N08/

Jean-Claude Liehn
Er liebt sein Land und so fotografiert er es auch. Raymond Depardons Projekt „La France“ ist seine Orientierung und sein Umgang mit Farbe und Licht lässt den Kunsterzogenen ahnen und zugleich vergessen, dass seine Bilder aus einer Digitalkamera kommen. Jedes seiner Bilder ist ein Archetypus, ein würdiger Stellvertreter für ganz Frankreich. Wenige beherrschen die perfekte Frontalansicht und das subtile Spiel mit dem Licht so wie er. Ein Meister, von dem sich auch ein Depardon heute noch was abschauen könnte.
https://www.jcliehn.com/

Der kleine König (N.N.)
Er produziert in Berlin und Brandenburg einen stetigen Strom urbane Ansichten von allerhöchster Qualität und tritt kompositorisch niemals daneben. Immer ist das Bild perfekt durchkomponiert und der Ort sorgfältig ausgesucht. Oft ist man an Ulrich Wüst erinnert, aber eben mit einem klaren Verständnis für Gestaltung mit Farbe zusätzlich. Auch ein Meister der topographischen Fotografie.
https://www.flickr.com/photos/derkleinekoenig/

Mat231 (N.N.)
Er kommt viel herum und von überall, nicht nur aus den Städten, sendet er Bilder der feinsten Art, die es dem Betrachter erlauben, mit ihm zugleich auch dort zu sein. Die letzte Serie über das nächtliche Wien zeigt technisch eine perfekte Beherrschung der widrigen nächtlichen städtischen Beleuchtung und atmosphärisch eine Meisterschaft darin, den urbanen nächtlichen Ort ganz für sich selbst sprechen zulassen
https://www.flickr.com/photos/25238129@N05/

Warren Kirk, Melbourne
Eine fantastische Reportage aus den Vorstädten Melbournes, über das Alter, das Übrigbleiben von Menschen am äußersten Ende ihres Lebens, von ihren Werkstätten, ihren Häusern und deren Innenleben, von ihren alten Autos und von dem Kampf um den Lebensunterhalt bis zuletzt. Er spricht mit diesen Menschen, er portraitiert sie nicht nur handwerklich perfekt sondern auch auf jene anrührend Weise, die seine Empathie spüren lässt. Ein Amateur, dessen Bilder in Australien kein Verlag drucken will auch wenn sie thematisch wie handwerklich Meisterwerke sind. Zu „langweilig“.
https://www.flickr.com/photos/70980743@N03/

Joseph Vavak, Nebraska
Er protokolliert den Niedergang des ländlichen Amerika in anrührenden, epischen Bildern, die erzählen von den untergegangene Welten der amerikanischen Farmer, die im Laufe der letzten Jahrzehnte weitgehend von ihrem Land vertrieben wurden durch die Machenschaften der großen Konzerne wie Nabisco, Nestle etc.
https://www.flickr.com/photos/josephvavak/

Steve Ellaway, Wales
Ein fröhlicher Spezialist, der Bushaltestellen fotografiert, die in seiner Heimat jede für sich eine höchst individuelle Erscheinung zeigen, in schier endloser Variation. Und Ellaway schafft es, aus diesen Persönlichkeiten jeweils ein wunderbares Portrait zu machen, ohne je ein Gefühl der Übersättigung zu erzeugen.
https://www.flickr.com/people/stevewelsh/

Christopher Hall, „A friendly introvert from San Francisco“
Ein Amateur im besten Sinn der amerikanischen Tradition. Spricht und schreibt Deutsch wie ein Deutscher. Strahlt aber das gelassene lean back der Kalifornier auch in seinen Bildern aus.
https://www.flickr.com/photos/deadslow/

Das folgende Interview sagt mehr, als ich es hier im Rahmen dieses Beitrags könnte:
http://kwerfeldein.de/2011/04/03/im-gespraech-mit-christopher-hall/

Jan Normandale, Kanada
Der Mann, der seine Kameras(s) tatsächlich immer dabei hat. Vorrangig 120er Film, digital mit kleinen Hosentaschenkameras. Er fährt beruflich lange Strecken in Kanada und Nordamerika, und wenn er frei hat, fährt er auch; mit Kameras, einem großen Vorrat an 120er Filmen und Campingzeug. 7000 km in zwei Wochen können schon mal zusammenkommen. Auch er protokolliert mit epischen Bildern die Wirkung der globalen Veränderungen und die Hinterlassenschaften aus der Zeit, als Amerika und Kanada prosperierende Lebensräume waren. Obwohl alle Bilder en passant entstehen, ist nichts Beiläufiges an ihnen. Immer ist alles mit Sorgfalt erdacht und gemacht. Mit seinen Bildern kann man reisen, so, als wäre man selbst dort.
https://www.flickr.com/photos/jann/sets/

Dieter Schmidt, Bremen
Der Präzision und Tradition verpflichtet, produziert er in großen Teilen analog mit anspruchsvoller Technik ab Mittelformat aufwärts. Stadtansichten, Architektur, Industrieanlagen. Ein intimer Kenner Spaniens, einem Land mit dem er auch persönlich verbunden ist. Hat viele sehenswerte Bücher gemacht, u.a. über die nordspanischen Industriegebiete, in Asturien, Galizien etc.
https://www.flickr.com/photos/diet_sch/

Bart van Damme, Rotterdam
Er gehört eigentlich nicht in diese Auflistung, denn er ist Professional. Aber erstens muss man seine Fotos einfach gesehen haben und zweitens ist er in der Qualität seiner Bilder für die Amateure ein Orientierungspunkt und Maßstab. Seinen Bildern sieht man sofort das fotografische und das kreative Potential an, das ein umfangreich künstlerisch ausgebildeter Maler in die Fotografie einbringt und einen großen Zauber über ein Thema legt, das im Mainstream als „banal“ gehandelt werden würde. Industrieanlagen, Wasserbau, Küstenschutz, Stadtansichten und Architektur, die es in den Niederlanden tatsächlich noch gibt, im Gegensatz zu Deutschland, wo sie anscheinend für immer ausgerottet ist.
http://www.studiovandamme.com/
https://www.flickr.com/photos/bartvandamme/

Andreas G. aus Köln
Er treibt technisch hohen Aufwand für Ergebnisse höchster Qualität: Geduld, Zeit und erfordert die Fotografie der konzentrierten Langsamkeit mit Großformat.
Andreas G. hat auch einen ausgeprägten Sinn für das szenische Element in der Fotografie und so entstehen mitunter belebte, lebendig Ansichten mit der Güteklasse der alten Vedutenmaler.
http://www.andreasguenther-fotografie.com/

Und hier eine kleine Zitatensammlung zu dem, was man sich innerhalb der Mauern einer Foto Community zu solche Bildern anhören muss:
http://www.fotocommunity.de/fotograf/andreas-g/1001663

Eggima, Mannheim
U. a. die besten zeitgenössischen Stadtansichten von Paris, die ich kenne. Bestes Handwerk, sorgfältig ausgesuchte Orte und Perspektiven. Eggima hat einen Sinn für den Genius Loci, und er fängt ihn ein. Große Klasse, die so unauffällig und unprätentiös daherkommt, dass mancher ihre Qualität erst auf den zweiten Blick erkennt.
https://www.flickr.com/photos/40844098@N08/

Marie Antoinette Giraffenhals, Paris
Last not least! Ein stiller, kunstsinniger Poet und einer der letzten wahren fotografischen Flaneure in den Straßen von Paris. Der Spezialist für den Gestus und das Szenische in der Fotografie, das den Betrachter immer wieder erinnert an Barthes und dessen Meinung, nicht die Malerei sei der nächste Verwandte der Fotografie. sondern das Theater. Ein Spezialist auch für das isolierte Detail als Abstraktion der urbanen Wirklichkeit, ein enorm belesener Humanist, der auf eindrucksvolle Weise demonstriert, was „Street“ eigentlich so alles sein könnte, weit jenseits all der primitiven Nachäfferei der klassischen Ikonen. Ein Amateur der Stadtfotografie im Sinne der direkten Übersetzung.
http://www.fotocommunity.de/fotograf/marie-antoinettesgiraffenhals/fotos/873510

So weit, so gut. Diese Liste könnte noch viele Seiten länger werden, denn es gibt eine große Zahl von Amateuren, die auf diesem Niveau arbeiten. Es ging hier aber nur darum, einige den Text illustrierende Beispiele aufzuzeigen. Wer mehr sehen will, sollte nachschauen, wem die Genannten folgen und welchen Gruppen sie angehören. Das ist der Weg, wie man auch bei Flickr keine Freunde findet, aber doch vielleicht ein paar Brüder und Schwestern im Geiste.


Nachtrag zum dokumentarischen Bild und zum Schönbild

Diese von mir genannten Kategorien und vor allem die Feststellung, nur das dokumentarische Bild sei im Sinne der Fotografie relevant, wurde anscheinend weder überprüft, nicht einmal ernsthaft überdacht mit Bezug auf das von mir bisher Geschriebene und hat, wie in solchen Fälle üblich, den Vorwurf evoziert, eine Ex Cathedra Äußerung zu sein. Ich bekräftige meine Feststellung mit einem historischen Rückblick.

Die erste gesellschaftliche Funktion, mit der sich die Fotografie als neue Technik in der Gesellschaft des späten 19. Jahrhunderts verankern konnte, war eine rein dokumentarische. Portraits, Hochzeiten, Familienzusammenkünfte, Veranstaltungen, Schule, Militärdienst: Die familiären Anlässe, bei denen ein Fotograf und sein Bild unverzichtbar geworden war. Die Bilder unterlagen in ihrer Gestaltung strengen Normen, was die Haltung der Fotografierten und die Art der Anordnungen betraf. Normen, die geeignet waren, die soziale Selbstdarstellung und sozialen Einordnung der Fotografierten in einer für sie vorteilhaften Weise zu gestalten. Fotografie als integrative Funktion also und erstaunlicherweise schon damals bereits eine Form des sozialen Austauschs. Die Hochzeitsgäste erhielten alle ein Gruppenfoto, das einzige, das damals bei Hochzeiten gemacht wurde, außer den Bildern vom Brautpaar selbst. Bei der Geburt eines Kindes, einem Ereignis von existentieller Bedeutung für die Familie, verschickte man dessen Foto an die Verwandtschaft per Post.

Auch lange nachdem die Amateure (ungefähr in den 20ern des 20. Jahrhunderts) begonnen hatten, den Berufsfotografen zur privaten Konkurrenz zu werden, blieb die familiäre dokumentarische Fotografie der einzige gesellschaftliche Gebrauch, der von der Fotografie gemacht wurde. Auch wenn die die kleineren, mobileren Kameras zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Einsatzgebiet erheblich erweiterten, blieb alles, was privat damit abgelichtet wurde, unter dem Dach der dokumentarischen Intention.
Diese private Fotografie ist bis heute in gewandelter Äußerlichkeit im gesellschaftlichen Gebrauch und hat ihre dokumentarische Bedeutung nicht verloren.

Bewegung kam in die Amateurfotografie, als Amateure der allgemeinen Entwicklung der Fotografie, weg vom Pictorialismus, hin zum „neuen Sehen“ der professionellen künstlerischen Fotografie folgend begannen, sich in Fotoklubs zu organisieren, um die Fotografie zu einem anspruchsvollen Zeitvertreib zu machen. Von diesem Moment an war die Fotografie l’art pour l’art, das Abgebildete wurde sekundär, die Qualität der Abbildung war der primäre Gegenstand des Interesses und der technische Prozess rückte mehr und mehr in den Vordergrund. Er und sein technisches Ergebnis sowie die Qualität der Gestaltung wurden wichtiger als das eigentlich Abgebildete. Parallel zu dieser Entwicklung geriet die Frage in den Vordergrund, wie weit sich die Fotografie der Kunst annähern könne.

Es war dieser Paradigmenwechsel in der Fotografie, vom Zweck zum Selbstzweck, der den umfangreichen Problemkomplex und das alles beherrschende Spannungsfeld erzeugte, an dem die private Zeitvertreibsfotografie bis heute leidet: Technik und Kunst.

Die Positionierungen der Klubs als Orte einer Fotografie, die sich von der alten gesellschaftlichen Primärfunktion losgesagt hatte, fielen gegenüber der Kunst, in diesem Fall der Malerei und gegenüber dem Apparat dabei recht unterschiedlich aus, jeweils ganz abhängig von der gesellschaftlichen Positionierung der Fotografen und den lokalen kulturellen Strukturen, in die die Klubs eingebettet waren.

In dem Buch „Eine illegitime Kunst, die sozialen Gebrauchsweisen der Fotografie“ (Bourdieu, Boltanski u.a.) finden sich in dem Beitrag von Castel/Schnapper Untersuchungsergebnisse zu mehreren Klubs, von denen jeder eine in jener Zeit für seine gesellschaftliche Umgebung typische Positionierung einnahm.

Das Spannungsfeld und der diesbezügliche Diskurs in den Klubs zwischen Technik und Kunst war damals, als diese Untersuchungen veröffentlicht wurde (1965) allerdings anders parametrisiert, weil von anderen Annahmen bestimmt, als dies heute der Fall ist.

Bei der Technik lag jedem Diskurs der Konsens zugrunde, dass der Apparat eher ein Makel war und ein zentrales Problem bei dem Versuch sich jetzt der Kunst anzunähern, nach dem man mit avantgardistischem Hochmut die alte gesellschaftliche Primärfunktion der Fotografie hinter sich gelassen hatte. Dieser Grundlage entspringt die damalige Frage, ob nicht weniger Technik das Bild eher aufwerte da es mit mehr handwerklicher Kennerschaft und mehr Arbeit entstehe. Was das Foto an sich aufwerten sollte gegenüber der Kunst, deren abwertender Vorwurf von Beginn an lautete, der Photoapparat sei ein Bildautomat, dessen Bedienung jeder schnell erlernen könne und dass es kinderleicht sein, Fotos zu machen.

Bei der Positionierung gegenüber der Kunst galt zunächst der unbedingte Respekt vor einem bis dahin sakrosankten Kulturphänomen, der Malerei. Eine Einordnung übrigens, die in Frankreich noch lange verbreitet war, bis in die Siebziger hineinreichend, als es das kulturelle Establishment für eine eher zweifelhafte Idee befand, Fotografien auszustellen wie Gemälde. Dieser unbedingte Respekt vor der Kunst und die natürliche Distanz, die die Fotografie zu ihr einzunehmen hatte, blieb lange unbestritten. Man wusste als Amateur, der Bilder um des Bildermachens wegen fabrizierte, einzuordnen, was man tat. In diesem Selbstverständnis verblieb die Klubfotografie, immer auf Distanz zur gesellschaftlichen Primärfunktion der dokumentarischen Fotografie, lange Zeit.

Anfang der Sechziger veränderte sich die Landschaft. Wirtschaftliches Wachstum und steigende Kaufkraft ließen die Industrie (die japanische, die deutsche merkte gar nichts) die Amateurfotografie als einen neuen Markt entdecken. Vilem Flusser formuliert:“ Die Amateurfotografie ist eine Erfindung der Industrie.“ Der beste Weg, diesen Markt zu entwickeln war selbstverständlich die Technik, der einzig verkaufbare, handelbare Teil der Amateurfotografie.

Und so entstand damals das bis heute in seinen Grundzügen existente „System Amateurfotografie“.
Der Amateur, der bis dato versucht hatte, irgendwas zu fabrizieren, was der Kunst nahe kam, wohl wissend, er würde sie niemals erreichen können, und der sich für seinen Apparat eher schämte, weil er ihn dafür brauchte wie eine Krücke, dieser Amateur verschwand, bzw. er wurde entfesselt. Seine bisher eher diskrete, im Stillen zelebrierte Begeisterung für Präzisionstechnik durfte sich durch die Werbung emanzipieren. Einerseits durch ihre Enttabuisierung, die sich in Prädikaten wie „Technikbegeisterung“ manifestierte, andererseits wurde Technik als Bedingung und Garant für Kreativität, und mehr Technik für noch mehr Kreativität beworben. In anderen Worten hieß die neue Botschaft: Je mehr Technik, desto mehr Kreativität.

Mit soviel Kreativität ging dem mutig werdenden Amateur die Distanz zur Kunst verloren, die er einst mit dem Apparat nicht gerne in Verbindung gebracht hatte. Dieser Verlust der Distanz wurde allerdings nicht durch die Hochrüstung mit Kreativtechnik allein ausgelöst. Sondern  unterstützt durch eine allgemeine Entwicklung der Kunst hin zur modernen Kunst, die viele glauben ließ, jetzt könne sie jeder, weil Kunst ja von Können komme. Der alte Irrtum des banausischen Bourgeois schien plötzlich plausibel. Da die Amateurfotografie in ihren Wurzeln schon und bis heute überwiegend das Hobby der Bourgeoisie (heute Mittelstand) ist, liegt dieser Irrtum nahe.

Und so kam es, dass plötzlich auch Fritzchen Kurz ohne falsche Hemmung „künstlerische„ Fotografie betrieb, immer schön auf anspruchsvoller Distanz zur Primärfunktion der Fotografie, der dokumentierenden Familienfotografie. Von Anspruch her zumindest. Tatsächlich machte auch er Familienfotos, aber die wurden als „natürlich ohne künstlerischen Anspruch“ deklariert. Nicht dass da was durcheinander kommt. Dass der Begriff „künstlerisch“ einen Prozess der Proletarisierung erfuhr, war unvermeidlich. Und so wurden auch Gartenzwerge und röhrende Hirsche zu Kunst und der Inhalt ganzer Andenkenläden gleich mit.

Das Internet und die Digitalisierung der Fotografie haben an dieser vor fünfzig Jahren bereits durch die Initiative der Industrie etablierten Rahmenbedingungen der Amateurfotografie, nichts geändert,. Sie wurden lediglich fortgeschrieben in einen Massenspektakel, und die Industrie scheint fest entschlossen, ihre Verkaufsstrategie des kreativen Fortschritts durch immer wieder neue Technik solange weiter zu treiben, bis ihnen die Kunden auf die Füße kotzen. Neu ist die dem Internet und seiner „Kommunikation“ gedankte, inzwischen um sich greifenden Proletarisierung der Mehrheitsästhetik, eine Mischung aus Gartenzwerg und Parfumwerbung. Neu sind auch die Mechanismen des Internet, mit denen sie als Leitkultur der Spaßgesellschaft verteidigt wird.

Status quo ist also eine Amateurfotografie, deren übermächtige Mehrheit dem Bild des Bildes wegen, der art pour l’art, anhängt und unermüdlich Schönes schafft von dem Schönen, das sie für schön hält, die kompensatorischen Eskapismus betreibt oder Bildbastelei der elektronischen Art.

Was ist ein Schönbild? Das ist ein Bild, das gewisse Leute für schön halten, weil es, nach ihrem Verständnis, auf schöne Weise etwas zeigt, was eben diese Leute für schön halten. Mehr ist es nicht. Und damit ist es in jeder nur erdenklichen Weise relativ zu den soziologischen Strukturen und gesellschaftlichen Wertegerüsten, innerhalb derer es entsteht und so ist es immer nur die immer gleiche Reproduktion der dort geltenden Normen. Die endlose, massenhafte Wiederholung des Reproduktionsprozesses erklärt die geradezu tödliche Langeweile dieser Fotografie, die inhaltlich schon lange tot ist, sich nur noch als sinnentleertes Ritual fortpflanzt mit jeder neu verkauften Kreativkamera. Das hat mit Fotografie nur soviel zu tun, als dass irgendwelche Bilder produzierte werden. Bilder, die jeder kennt, die keiner braucht, die, kaum sind sie gemacht, schon obsolet sind durch das nachfolgende Bild. Bilder, die ohne Wert sind und nach Gebrauch alle für immer verschwinden. Bilder, die nur eine Variante des zur Selbstvergewisserung geschossenen und sogleich verschickten Selfies sind, mit dem der in der modernen Gesellschaft vereinzelte Mensch Mitteilung darüber macht, dass er noch existiert.

Nur eine marginale Minderheit ist in der Amateurfotografie daran interessiert, die Kamera auf das eigene Leben, die eigene Lebensumgebung zu richten, auf das, was ihre persönliche Realität ausmacht oder die anderer. Die Zeugnis ablegen wollen von der Zeit, in der sie leben, von den Orten an denen sie leben, Bilder die sagen „So ist es!“ und später sagen können „So war es gewesen!“, die also das können , was Barthes als das Wesen der Fotografie isoliert hat.

Schönheit gibt es auch in der dokumentarischen Fotografie. Sie ist überall, wenn nicht im Abgebildeten, dann in seiner Abbildung.

Aber:
Les abrutis ne voient le beau que dans les belles choses.“ ,Arthur Cravan
(Die Idioten sehen das Schöne nur in den schönen Dingen)