3f – Fotografische Sozialisation durch Fotoforen und –magazine: Die Geschmackslüge als eine der zahlreichen Relativitätslügen

Der moderne Amateurfotograf in seiner mehrheitlichen Ausprägung als fotobegeisterter Mainstream-Knipser ist ein wandelnder Widerspruch. Einerseits sucht er unablässig das „Gute Bild“ oder zumindest das bessere Bild, mancher gar in einem als sportlich verstandenen Wettbewerb. Er setzt erhebliche finanzielle Mittel für dieses Ziel ein, über Jahre hinweg, und strebt nach Lob und Anerkennung aller Art: Preise, Medaillen, Staff’s Choice, eine Platzierung in der vom Volke gewählte Qualitätsriege in den Best-Of-Galerien einer Community. Was nicht mehr heißt als den mehrheitlichen Geschmack derer zu erreichen, die gerne ihr Urteil über anderer Leute Bilder abgeben. Davon aber an anderer Stelle mehr.

Kritik an seinen eigenen Werken allerdings, schon gar nicht eine konkrete und fundierte, duldet er auf dem Weg zu Ruhm nicht, nicht bevor die quasi amtlich als Spitzenkunst deklariert wurde durch die Auswahl für einen prominenten Ausstellungsort innerhalb der Gemeinde. Auch wenn er sich nach eigenem Bekunden in eine fotografische Community begeben hat, um durch Kritik etwas zu lernen.

Kommt sie dann tatsächlich, die Kritik, wird mit Vehemenz bestritten, dass das „Gute Bild“, nachdem er doch so sehnend strebt, existiert, nicht als Absolutum jedenfalls, nur als Relativum. Das heißt, die Kritik ist des Kritikers persönliche Meinung und dessen Problem, nicht das des Kritisierten. Der im vorhergehenden Artikel bereits behandelt Schutzschirm des Subjektiven, Relativen und Individuellen tut seine Wirkung.

Die Methode der Reduktion jeglicher Kritik auf die Frage des persönlichen Geschmacks scheint eine sichere, uneinnehmbare Bastion zu sein gegen jede sachliche Kritik, meint der zu verbrieften Ehren strebende Amateur. Fast so beliebt wie die Methode, alle ästhetischen und handwerklichen Kriterien als einen Gerümpelhaufen alten obsoleten, „unmodernen“ Regelwerks zu erklären.

Bleiben wir bei der Geschmackfrage als der vermeintlichen Allzweckwaffe der Ideologen der Spaßfotografie. Selbstverständlich ist Geschmack die subjektive Wahrnehmung eines Individuums, die aber von mehreren Faktoren bestimmt wird. Dazu gehört zwar das individuell genetisch geprägte emotionale Innenleben eines Menschen, aber auch der Kulturkreis, der ihn geprägt hat; seine soziale Herkunft und deren ästhetische Prägung, seine ästhetische Bildung und, falls gegeben, seine ästhetische Ausbildung. Bei aller genetisch bestimmten emotionalen Individualität existieren also auch „harte“ determinierende Faktoren wie Kulturkreis, soziale Umgebung und Bildung.

Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass Geschmack kein frei schwebendes Phänomen ist sondern eines, das durch etliche Umgebungsfaktoren innerhalb einer bestimmten Umgebung, bzw. durch deren Wertegerüst determiniert ist! Innerhalb dieser definierten Umgebung gibt es tatsächlich dann doch den guten und den schlechten Geschmack.  Angesichts dessen muss es ebenso naiv wie primitiv erscheinen, die Qualität eines Fotos zur reinen Geschmackssache relativieren zu wollen, weil damit das Wort Kritik in seiner Wortbedeutung als nicht existent betrachtet wird bzw. zur subjektiven Sicht des Kritikers umgewidmet und auf diese Weise neutralisiert wird.

Das Lächerliche an diesem Geschmacksdogma wird spätestens dann sichtbar, wenn es nicht nur auf die Qualität der Bildidee und Bildgestaltung, sondern auch auf die rein handwerkliche Ausführung Anwendung findet. Echte, grobe handwerkliche Fehler („Definiere mal Fehler!“) werden dann notfalls auch Geschmacksache und damit wird jede handwerkliche Kritik zur einfachen subjektiven und deshalb belanglosen Meinung degradiert, die den großen Vorteil hat, dass man nicht darauf eingehen muss, jedenfalls nicht inhaltlich.

Ideologisch vielleicht schon, und wenn, dann geschieht es meist dadurch, dass man eines der zahlreichen Klischeezitate, passend umgedeutet, abfeuert.
Höchst universell zum Beispiel ein Wort des armen (er kann sich gegen den Abusus seiner Aussagen nicht mehr wehren) Andreas Feininger, der irgendwann einmal gesagt hat, ein gutes Bild müsse nicht handwerklich perfekt sein.

Schlussendlich enthält die ideologische Geschmackswaffe auch, wie alle anderen Relativierungsmethoden, das bekannte denunziatorisches Element. Denn wer ihr widerspricht, sieht sich sofort in die elitäre Ecke gestellt, da wo alle Idioten stehen, die glauben, die Luft der Kreativität habe Balken. Wer genauer hinsieht wird erkennen, dass nicht nur so versucht wird, Bilder gegen Kritik zu immunisieren. Der Vorwurf des angemaßten Elitären ist nicht nur der der intellektueller Beschränktheit, er ist auch ein Versuch sozialer Exklusion in einem als „demokratisch“ deklarierten System, das seine Maßstäbe aus Mehrheitsmeinungen bezieht.
Nicht zuletzt sind die Showcases der Fotogemeinden, in denen zu sehen ist, was die Mehrheit per „Voting“ für gut genug befunden hat, Ausdruck jener Demokratie, um die es hier geht.

Weckt der Gedanke an eine Ästhetik der Mehrheit schon Erinnerungen an die Fliegen und die Scheiße, an Schrankwand Eiche antik und Gartenzwerge, so ist das Verfahren noch gespenstischer, wo es angeblich um Kreativität geht: Ein sozialer Organismus, die Community, entwickelt seine eigenen ästhetischen Maßstäbe innerhalb seiner Mauern, ganz auf sich bzw. seinen Mehrheitsgeschmack bezogen? Da stellt sich doch die Frage, was geschieht, wenn die Mehrheit aus inkompetenten Nichtswissern und Nichtskönnern besteht, die die barbusige und glutäugige Andalusierin über ihrem Ehebett als die einzig wahre, weil geile Kunst betrachten?? Was dann? War es nicht immer vielmehr so, dass jede Kreativität mit dem emanzipatorischen Akt beginnt, die mehrheitliche Vorstellung von Schönheit hinter sich zu lassen, anstatt sie nachzuäffen?

Die Frage, die ich mir stelle ist die, woher kommt eigentlich die frappierend idiotische Idee einer demokratischen Ästhetik, einer Volkskunst quasi, die schon sichtbar totalitäre Merkmale hat, wenn man zum Beispiel den denunziatorischen Gebrauch des Begriffes elitär betrachtet, der zielstrebig auf den Begriff der Entartung zusteuert?

Aus meiner derzeitigen Sicht ist es eine verhängnisvolle Verbindung von einerseits stumpf nachgeplapperten und zutiefst verinnerlichten Parolen aus dem Werbeuniversum der Fotoindustrie, und andererseits den sehr speziellen kommunikativen Mechanismen der virtuellen Sozialgebilde des Internets, ganz besonders wenn es sich um die sogenannten Communities handelt. Summa summarum also auch hier wieder kommerzgesteuerte Meinungsbildung. Communities sind nichts als einer von mehreren Kanälen der Werbeabteilungen der Hersteller, deren Betreiber direkt und indirekt daran mitverdienen, dass Käufer regelmäßig neu kaufen und dabei gute Stimmung herrscht, dass alle ihren Spaß haben und keiner aufgibt, demotiviert von Kollegen, die ihm ihre (ehrliche) Meinung sagen.
Selten wird deutlicher, was „kommerzielle Verblödung“ meint. Erst recht wenn man bedenkt, dass es Leute gibt, die noch selbst bezahlen dafür, auf diese indoktrinierende Art und Weise zum guten Kunden geschult zu werden.