3h – Fotografische Sozialisation durch Fotoforen und –magazine: Die gequälte Kunst und das Scharlatan-Argument

Einst gab es nur die Frage, ob Fotografie Kunst sei; heute müssen wir uns fragen, ob diese verwirrende Bilderflut überhaupt Fotografie ist.“
David Schonauer

Die Kunst hat es schwer genug, schon immer, eingeklemmt zwischen Geld und Wahrhaftigkeit. Noch schwerer, seit sie gänzlich zum Spekulationsobjekt der globalen Geldgeiergemeinde degradiert wurde, und so zunehmend lichtscheues Gesindel unter allen Akteuren der Szene anzieht.

Als wäre das alles nicht schon schlimm genug, muss sie sich auch noch im Mainstream der Fotoamateure auf verschiedene Weise malträtieren lassen, durch freche Vereinnahmung oder tumbe Beschimpfung, je nachdem, wie es gerade irgendeinem in den Kram passt.

Es fängt an mit der ebenso populären wie dummen Kategorisierung „künstlerische Fotografie“, in die der Stammtischbruder wie auch der akademische Bourgeois mit kultureller Halbbildung alles einordnet, was er nicht einordnen kann im Sinne des fotografischen Motivkatalogs, siehe erster Beitrag hier: 2a – Bilderwelten: Die Genrefotografie und ihre Motive. Alles nicht eindeutig als Motiv identifizierbare bzw. seiner Ansicht nach „motivfreie“ und/oder nicht in der üblichen Weise gestaltete Bildmaterial landet in diesem Sandkasten, wo es einer gesonderten Behandlung unterzogen wird.

Dabei fällt auf, wie vielfältig diese Zuweisung instrumentalisiert wird: Die einen wollen Künstler sein, wissen jedoch über Kunst nichts und über Fotografie schon gar nicht, erhoffen sich aber vom Etikett Kunst mildernde Umstände für den gotterbärmlichen, peinlichen fotografischen Mist, den sie produzieren. Die andern denken wie die typischen Vernissagegänger, dass alles, was sie nicht verstehen, Kunst sein müsse. Das sind die meist akademischen Bildungsbürger mit elitärem Klassenanspruch, aber ohne kulturelle Erziehung, eine Spezies, die sich ausbreitet. Wieder andere benutzen die Kategorie in Anführungszeichen, dann als Beschimpfung: Das sind die Stammtischbrüder und die Kleinstbürger mit dem schon lange vor Goebbels genetisch verankerten Gen für das „Entartete“.

Nun ist es aber leider so, dass Fotografie ihrem Wesen nach erst einmal nichts mit Kunst zu tun hat. Sie ist ein optisch aufzeichnendes, technisches Verfahren, so, wie ein Tonbandgerät ein akustisch aufzeichnendes Verfahren und damit von der Hand und dem Auge des Künstlers im Gestaltungsprozess der bildenden Künste so weit weg ist wie der Mond von der Erde.

Ohne Zweifel kann eine Fotografie auch ein Kunstwerk sein, die Schwierigkeit dabei ist allerdings die Grenzziehung zwischen perfektem Handwerk bzw. Kunsthandwerk und der Kunst. Die Zahl end- und ergebnisloser Debatten hierüber ist Legion, die Vorschläge und Ideen hierzu vielfältig. Dass aber keinesfalls alles das Kunst sei, vor dem man ratlos steht, darüber herrscht gewiss weitreichender Konsens außerhalb der Spaßgemeinde der Freizeitknipser.

Innerhalb dieser geht es allerdings ganz anders zu. Dort kann der Kunstbegriff auch zur Waffe werden. Vorzugsweise dann, wenn ein rätselhaftes, weil buchstäblich aus dem Rahmen fallendes Bild beginnt, ebenso rätselhaft positive Reaktionen zu sammeln. In diesem Fall werden die zahlreichen selbsternannten Wächter der spaßfotografischen Ideologie, die in solchen Fällen immer zur Stelle sind, indirekt auf den ihnen eigenen Kunstbegriff zurückgreifen in der doppeldummen Form, dass man sagt, aha, soll wohl Kunst sein (was es gar nicht sein soll) , ist aber nur ein Verarschungsversuch mit Pseudokunst, Scharlatanerie also! Und die Claqueure, die hier andauernd applaudieren, sind persönliche Freunde des Autors und/ oder Idioten, die nicht merken, dass sie betrogen werden. Doppeldumm, weil zuerst die falsche, willkürliche Zuordnung und zusätzlich die irrige Vorstellung des Banausen, er könne entscheiden, was Kunst ist und was nicht, obwohl er nichts davon versteht. Der „gesunde Menschenverstand“ sage ihm das, behauptet er zumeist. Was bedeutet, von Verstand kann bei diesen Leuten nur sehr eingeschränkt gesprochen werden und gesund ist er schon gar nicht.

Denn der sogenannte gesunde Menschenverstand hat mit Verstand nichts zu tun, er ist vielmehr das Gegenteil davon und deshalb die ideale rhetorische Universalkeule aller Idioten, wenn es darum geht fehlendes Wissen argumentativ zu überbrücken oder plausibel zu machen, dass die eigene Anschauung die Wahrheit aller denkenden Menschen sei.

Zuweilen überschlägt sich dieses unbedingte Vertrauen in die eigene Urteilsfähigkeit mit Zuspitzungen dieser Art: „ … hab von solchen Bildern, ohne das ich was sehe, schon genug gesehen.“ Sozusagen die Endstufe des gesunden Menschenverstandes, der schlechte Bilder blind erkennt. Am Geruch vielleicht? Oder an den schlechten Vibes?

Noch schlechter geht es der Kunst, wenn die fotobegeisterten Amateure mit erweitertem Qualitätsanspruch sich über Künstler und Kunstwerke außerhalb der Spaßgemeinde hermachen. Zuweilen scheint ätzender Hassneid durch die Kommentare hindurch, Hass auf die Ungerechtigkeit dieser Welt, die „so einen Scheiss“ mit Millionen bezahlt, wo man doch selbst so viel Besseres anzubieten hat. Typischerweise wird die öffentliche Verprügelung des Kunstwerks eröffnet mit einem Hinweis auf die exorbitante Summe, die es bei einer Auktion erzielt habe und mit dem obligatorischen Hinweis, das könne man auch. Der Preis wird nicht als der spekulative Erlös eines Sammlers gesehen, sondern mit dem Wert eine Kunstwerks gleichgesetzt, und da der Bildungsbauer auf der künstlerischen Ebene keine Handhabe hat, wird der Preis zum logischen Nachweis, dass es sich hier nur um Scharlatanerie handeln könne. Denn „sowas“ könne ja jedes Kind. Und wieder einmal gelingt es so, ein Urteil über etwas zu sprechen, wovon man selbst nicht die geringste Ahnung hat. Geradezu ein periodisch wiederkehrender Standardfall ist zum Beispiel die Rhein-Serie von Gursky; da sind sich die Stammtischbrüder besonders sicher, einen Fall von Scharlatanerie zu entlarven. Sieht doch jeder normale Mensch sofort und kann es abknipsen. Oder?

Die Vorstellung, was Kunst zu sein habe, arbeitet beim Mainstream der Fotoamateure alle bösen Klischees zum Kunstbegriff ab, wie sie sich von den bildungsfernen Ständen bis zum banausischen Akademiker schon lange fanden, bevor die Moderne Wasser auf die Mühlen der faschistoiden oder wenigstens totalitär gesinnten Volkskunstliebhaber leitete und die Kunst unter den Generalverdacht der Scharlatanerie stellte.

Diese Befürworter Volkskunst haben in der Tat Vorstellungen von der Kunst und Ihrer gesellschaftlichen Funktion, die aus totalitären Systemen stammen. Zum Beispiel, Kunst müsse, zumal wenn sie über öffentliche Mittel finanziert bzw. gefördert sei, auch dem Volke verständlich sein und in seiner Gestaltung erfreulich und belehrend. Eine Forderung wie sie auch von dem Postkartenmaler Adolf Hitler postuliert wurde, oder in ähnlicher Weise auch in den Ostblockstaaten. Kunst als politische Deko, als Systemillustration und Systemfunktion, der Künstler als Unterhalter und Erzieher. Eine groteske Verdrehung der Kunst in ihr Gegenteil, ist sie doch per Definition freier Ausdruck, unabhängig und ohne kommerzielle Absicht in der Entstehung, im Gegensatz zu Kitsch oder Kunsthandwerk.

Der missbräuchliche Umgang mit dem Begriff  der Kunst in den Mehrheiten des Mainstream zeigt, was passiert, wenn der Erinnerungs- und Familienfotograf plötzlich eine Kamera erwirbt, die ihm als „Kreativwerkzeug“ angepriesen wird und er versucht, dem Anspruch, den seine neue Superkamera an ihn stellt, gerecht zu werden. Obwohl die Kunst in seinem bisherigen Leben nicht vorkam und er nicht das Geringste über sie weiß außer einigen dummen Klischees, macht er sie plötzlich zur Messgröße seines Schaffens. Und so passiert es, dass der photobegeisterte Amateur mit seinem teuren Kreativwerkzeug nichts anderes tut, als seine besagten Klischees von Kunst und Schönheit zu kultivieren, was schlussendlich in einem riesigen Haufen mehr oder weniger aufwändig zusammengebasteltem, typologisch geordnetem Kitsch endet, der eine Wiederholung auf die andere häuft, ganz im Sinne Karl Valentins, der sagte, es sei zwar schon alles fotografiert worden, aber eben noch nicht von allen. Stephen Shore ließ sich einst dazu hinreißen, seine ehrliche Meinung über die Bildermassen zu sagen, die er bei Flickr gefunden hatte und seine Meinung fiel genau so aus: Massen von talentfreiem, uninspirierten Müll. Am Ende musste er sich öffentlich entschuldigen, ein Shitstorm gewaltigen Ausmaßes war über ihn niedergegangen. So etwas lässt man sich als photobegeisterter Kreativamateur mit einer 3000 Euro Kamera nicht sagen, schon gar nicht von einem Scharlatan wie Shore, in dessen Fotos ja nicht einmal Motive aus dem offiziell zugelassenen Motivkatalog zu sehen sind.